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Volkstrauertag: von der Wiederkehr des Krieges

1914, Stalingrad und Ukraine-Krieg als Thema in Weißensee, in der Gedächtniskirche und am Bundeswehr-Ehrenmal

Bei Veranstaltungen auf dem Jüdischen Friedhof, in der Gedächtniskirche und vor dem Bundeswehr-Ehrenmal haben Rednerinnen und Redner in Berlin den Volkstrauertag zum Anlass genommen, zum Frieden zu mahnen, der Opfer des russischen Angriffskrieges in der Ukraine zu gedenken und eine wehrhafte Bundeswehr zu fordern. Alle waren sich einig, dass der Volkstrauertag durch den Krieg eine neue Aktualität bekommen hat.
 

Mit einer feierlichen Kranzniederlegung auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee gedachten Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan sowie Vertreter von Politik, Religion und Bundeswehr am Sonntag jener Soldaten jüdischen Glaubens, die ihr Leben im Ersten Weltkrieg für Deutschland gelassen hatten.
 

Vergebens auf Dank gehofft

Der Standortälteste, Brigadegeneral Jürgen Uchtmann, erinnerte an die „gefallenen Kameraden, die vergebens auf Dank und Anerkennung“ ihres Landes gehofft hätten. 100.000 Juden hatten in der kaiserlichen Armee gekämpft, rund 12.000 waren gestorben. 395 von ihnen haben in Weißensee – auf dem flächenmäßig größten jüdischen Friedhof Europas – ihre letzte Ruhe gefunden.

An der Zeremonie am frühen Sonntagmorgen nahmen unter anderem die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht, die Wehrbeauftragte Eva Högl, Generalinspekteur Eberhard Zorn und Bundeswehrrabbiner Zsolt Balla teil.
 

Jüdische Soldaten als Sündenböcke

In seiner Gedenkrede schilderte Dennis Buchner, Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, wie im Jahr 1914 viele Mitglieder der jüdischen Gemeindes begeistert in den Krieg gezogen seien. Mancher Rabbiner habe gar den Ausbruch der Kämpfe „euphorisch“ begrüßt.

Doch schon zwei Jahre später – im Angesicht der drohenden militärischen Niederlage – habe man auf der Suche nach einem Sündenbock den Juden Wehrkraftzersetzung unterstellt. Angesichts der späteren planmäßigen Ausgrenzung der Juden und des folgenden Holocaust mahnte Buchner: „Ein ‚Nie Wieder!‘ darf keine leere Floskel sein.” Jürgen Uchtmann bekräftigte: „Diskriminierung, Verrat, Genozid und Menschenverachtung dürfen in unserer Gesellschaft nicht wieder um sich greifen.”
 

Gottesdienst in der Gedächtniskirche

Pfarrerin Kathrin Oxen nahm die Menschen, die am Sonntagmorgen zum Gedenkgottesdienst in die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche gekommen waren, mit in eine dunkle Zeit. Im Kessel von Stalingrad, in einer Lehmhöhle im Winter vor 80 Jahren, hatte der Truppenarzt und Pfarrer Kurt Reuber auf die Rückseite einer Russlandkarte ein Bild gemalt: eine Madonna, eine Mutter mit Kind, eng aneinander geschmiegt.

Für die Soldaten, die ahnten, dass niemand sie mehr retten würde, wurde dieses Bild zum Symbol der Sehnsucht – nach Liebe, nach Sicherheit, nach Geborgenheit. „Wir stehen am Abgrund des Nichts“, hatte Kurt Reuber aus Stalingrad an seine Frau geschrieben. Er sollte nie mehr nach Hause kommen.
 

Erbarmen für Ukraine-Tote

In der Kyrie bat die Pfarrerin um Erbarmen – für die Toten von Stalingrad auf beiden Seiten, für die Toten in der Ukraine vor 80 Jahren und heute, für die Gräber auf allen Seiten, die hastig aufgeworfenen und die sorgfältig gepflegten.

Der Krieg, so Oxen, stehe nicht nur im Geschichtsbuch: „Wir sehen ihn jeden Tag in der Tagesschau.“ Manchmal, so erzählte sie, zeige sie ihren Konfirmandinnen und Konfirmanden das Bild der „Madonna von Stalingrad”, das mit einem der letzten Flugzeuge aus dem Kessel gebracht worden sei und heute in der Gedächtniskirche zu sehen ist. Ob dieses Bild wirklich echt sei, fragten die Jugendlichen häufig. „Ja”, sage sie dann, „es ist echt. Es kann kaum echter sein.”
 

Versöhnungsarbeit in Russland

Fritz Felgentreu, Landesvorsitzender des Volksbundes in Berlin, blickte trotz des Krieges in der Ukraine mit vorsichtiger Hoffnung in die Zukunft. „Wir sind überzeugt, dass die 30 Jahre Versöhnungsarbeit in Russland Wurzeln geschlagen haben. Der Volksbund bringt mit seiner Arbeit Menschen mit Geschichte in Berührung. Wir wissen, dass jedes Menschenleben kostbar ist – und arbeiten deshalb für den Frieden – auch angesichts des Krieges in der Ukraine.”

Der Gottesdienst wurde von RBB live im Hörfunk übertragen. Mitwirkende waren neben Pfarrerin Kathrin Oxen und Fritz Felgentreu Jens Schäfer, Juliane Groß und Louise Fuchs. Das Stabsmusikkorps der Bundeswehr um Florian Kaltenhäuser und Gunter Kennel an der Orgel sorgten für musikalische Begleitung.
 

Vor dem Bundeswehr-Ehrenmal

Bei einer Veranstaltung auf dem Gelände des Bundesverteidigungsministeriums begrüßte Ministerin Christine Lambrecht Angehörige der Bundeswehr und ihrer Partnerarmeen, aber auch Angehörige der Soldaten, die in den vergangenen zwölf Monaten im Einsatz zu Tode gekommen sind.

Vor dem Ehrenmal der Bundeswehr sagte Lambrecht: „Der Volkstrauertag mahnt uns, die Opfer von Krieg und Gewalt nicht zu vergessen.“ Wenn man an diesem Tag der Toten gedenke, dann werde einem der hohe Preis für Frieden und Freiheit bewusst.
 

„Wieder lernen, wehrhaft zu sein“

Gleichzeitig wandte die Ministerin der Verteidigung den Blick Richtung Osten: „Unsere Gedanken gelten den Menschen in der Ukraine.“ Putin trete die europäische Friedensordnung mit Füßen, der Krieg sei die größte Bedrohung auch für Deutschland. Kämpferisch forderte sie vor den rund 100 Besucherinnen und Besuchern: „Wir müssen wieder lernen, wehrhaft zu sein.“

Text: Harald John / Diane Tempel

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Harald John Abteilungsleiter Öffentlichkeitsarbeit