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Volksbund begleitet Jugendliche und Offiziere in Auschwitz

Ein Bericht von Maike Pott, ehrenamtliche Teamerin, und Vinzenz Kratzer, Bildungsreferent im Fachbereich Internationale Jugendbegegnungen

Auschwitz steht wie kein anderer Ort für das unfassbaren Verbrechen Holocaust – die planmäßige, industrielle Ermordung Millionen von Menschen im Namen der menschenverachtenden Ideologie der Nationalsozialisten. Der Volksbund war 2023 an zwei Bildungsprojekten in Auschwitz beteiligt: einer Gedenkstättenfahrt mit Jugendlichen, die zusammen mit dem „aktuellen forum“ Gelsenkirchen organisiert wurde, und einem Workshop des Zentrums für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) für Berufsoffiziere aus Deutschland, Polen und Frankreich.

Unterschiedlicher hätten die Gruppen kaum sein können: hier Militärs in höheren Leitungsfunktionen, dort Schülerinnen und Schüler, die zum Teil das erste Mal allein ins Ausland reisten.  Gespräche, Fragen und Auswertungsrunden zeigten, dass der Ort jeden in seinem Innersten aufwühlt – egal ob Jugendlicher oder gestandener Soldat. Unabhängig von Alter, Lebenserfahrung und Herkunft – Auschwitz ist Anregung für Reflexion, Gedenken, Lernen und Austausch.

Das ehemalige Konzentrations- und Vernichtungslager ist heute Museum und Gedenkstätte. Die Gruppen besuchten zwei der Hauptstandorte: Zunächst Auschwitz I, das Stammlager mit einer großen Dauerausstellung. Dies ist der älteste Teil des Lagers, er wurde seit Kriegsbeginn zur Inhaftierung unterschiedlicher Häftlingsgruppen benutzt. Danach Auschwitz-Birkenau, das Vernichtungslager, in dem sich die Gaskammern und Krematorien befanden. In dem Lagerkomplex kamen mehr als 1,1 Millionen Menschen gewaltsam zu Tode, darunter etwa eine Millionen Jüdinnen und Juden.
 

Unfassbare Dimensionen

Die schiere Größe des Stamm- und Außenlagers überwältigt und erdrückt. Wer sowohl Auschwitz als auch Birkenau besucht, legt viele Kilometer zurück und wird über Stunden mit schwer zu verarbeitenden Eindrücken konfrontiert. Im Stammlager dominieren uniforme Backsteinbauten in scheinbar endlosen Reihen das Bild. Die Gebäude würden an Kasernen oder Arbeiter-Wohnsiedlungen aus dem 19. Jahrhundert erinnern, wären da nicht die doppelreihigen Stacheldrahtzäune, die Wachtürme und die Totenkopf-Warnschilder sowie das Eingangstor, über dem sich die metallene Inschrift „Arbeit macht frei“ befindet.

Auschwitz-Birkenau übertrifft die Fläche des Stammlagers noch einmal deutlich. Dort befindet sich das berühmt-berüchtigte Torgebäude, durch welches die Eisenbahnschienen zu einem Bahnsteig führen. Die dort errichteten Holzbaracken sind zum allergrößten Teil verschwunden, jedoch erstrecken sich die Fundamente und Schornsteine in geraden Reihen zwischen Rasen- und Schotterflächen über hunderte Meter. Die zahlreichen Besuchergruppen verlieren sich in der Weite des Geländes. Es wirkt leer, nüchtern, weit.


Eine erstklassige Führung

Beide Gruppen besuchten das Lager mit der gleichen, erstklassigen und hochkompetenten Führerin Katarzyna Wasita. Sie erläuterte die Aspekte des Lageralltags: Wie in den Baracken hunderte Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht leben mussten, welchen Misshandlungen und Qualen sie ausgesetzt waren und wie parallel dazu der industrielle Massenmord derer organisiert wurde, die nach Ankunft in Auschwitz-Birkenau in Gaskammern ermordet wurden.

Die Gruppen gingen den Weg der Menschen nach, die an der sogenannten Rampe - teils nach tage- und wochenlanger Fahrt in unmenschlichen Bedingungen - aus Güterwaggons ausstiegen und von SS-Ärzten „selektiert“ wurden. Sie sahen das Backsteingebäude, in dem den Neuankömmlingen die Häftlingsnummer eintätowiert wurde, sowie die Ruinen der Gaskammern und Krematorien für jene, welche von den Ärzten als nicht körperlich fähig für die Zwangsarbeit im Lager eingestuft wurden.
 

Gegenstände verdeutlichen Schicksale

Die Ausstellung kommt ohne lange Erklärungen aus. Es gibt Räume mit Sammlungen von Gegenständen, welche von den Häftlingen geraubt wurden, um sie - sorgfältig sortiert - für die Weiterverwertung vorzubereiten. Tausende Schuhe aller Ausführungen und Farben. Kofferstapel bis unter die Decke, mit Adressen und Namen in altmodischer Kreideschrift – Adressen und Namen aus ganz Europa. Ein großer Raum voller Tassen, Töpfe und anderer Behälter. Eine Vitrine mit tausenden Brillen, hunderten Arm- und Beinprothesen und künstlichen Gelenken. Zum Schluss: Ballen von menschlichem Haar, teilweise schon zu Matten verarbeitet, beschriftet und verpackt für den Abtransport.
 

Jüdisches Leben in Oswiecim

Die Reisegruppen setzten sich jedoch nicht nur mit dem Leid der jüdischen Bevölkerung in Auschwitz auseinander. Ein Besuch des jüdischen Zentrums, welches aus einem Museum, einer Synagoge und einem Friedhof besteht, war ebenfalls Teil des Programms. Dort beschäftigten sich die Jugendlichen unter Anleitung des Freiwilligen Jonas Hartmann mit dem einst vielfältigem Leben der jüdischen Gemeinde und lernten viel über die jüdische Kultur.

Reflexionen und Erinnerungen

Die Gruppen reflektierten nach dem Gedenkstättenbesuch ihre Erfahrungen. Manchen gelang es nur schwer, die Eindrücke in Worte zu fassen. Zunächst überwog die Sprachlosigkeit. Aber es entwickelten sich persönliche, emotionale Gespräche in diesen Runden – zwischen Menschen, die sich bis vorher nicht kannten.

Ein Soldat, nach außen hin ein ruhiger, gefasster Mann, berichtete von Kriegserlebnissen aus Afghanistan, die ihn in der Gedenkstätte beim Anblick von menschlichen Haaren unvermittelt wieder einholten. Eine Jugendliche traf es sehr, im Stammlager den eigenen Familiennamen wiederentdeckt zu haben. Andererseits motivierte sie diese Erfahrung herauszufinden, wie es ihren eigenen Verwandten während des Zweiten Weltkrieges ergangen war.
 

Rückblick und Zukunft

Die Abschluss- und Gedenkfeier des Offiziere war ein außergewöhnliches Erlebnis. Sie fand nach Einbruch der Dämmerung auf dem Innenhof des Lagergefängnisses statt, wo tausende Menschen von den Wachmannschaften für kleinste Vergehen hingerichtet wurden. Die Besuchergruppen hatten das Lager verlassen. Die Dunkelheit, das Kerzenlicht und die Uniformen der unterschiedlichen Nationen bildeten einen feierlichen Rahmen für die Veranstaltung. Die Beiträge spiegelten die besondere Atmosphäre in der Gruppe wider. Sie waren emotional und individuell.

Obwohl die beiden Reisen nach Auschwitz für den Volksbund eher ungewöhnlich waren, passten sie doch sehr gut zu Auftrag und Selbstverständnis des Verbandes: Elemente wie Gedenken und Lernen, der internationale Austausch und der Friedensauftrag für die Zukunft kamen in diesen Projekten stark zum Tragen. Expertise und Haltung des Volksbundes sollen auch künftige Veranstaltungen wie diese zu nachhaltigen Erlebnissen machen.


Vor 79 Jahren

Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee das Konzentrationslager Auschwitz. Hinter Stacheldraht und Elektrozäunen trafen sie auf verängstigte Menschen, die mehr tot als lebendig waren. Ungefähr 7.000 Menschen befanden sich zu diesem Zeitpunkt noch im Lager. Einige Tage zuvor hatten es die Deutschen geräumt und die Gaskammern gesprengt, um Beweise zu vernichten. Während die Schwächsten zurückgeblieben waren, hatte die Lagerleitung zwischen 56.000 und 58.000 Gefangene zu Todesmärschen Richtung Westen in andere Konzentrationslager gezwungen. Zwischen 9.000 und 15.000 Häftlinge überlebten die Torturen bei eisigen Temperaturen nicht.

Die Vereinten Nationen erklärten 2005 den Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
 

Vinzenz Kratzer Projekte in und mit Polen, internationale Projekte in Deutschland