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Stare Czarnowo: Frieden muss immer wieder gestiftet werden

Volksbund bettet 370 Tote in Polen ein - Jugendliche halten Erinnerung wach

Jedes Jahr gibt der Volksbund hunderten geborgenen Kriegstoten aus Westpolen in Stare Czarnowo eine würdige Ruhestätte. Mitte Juni kamen über 200 Menschen zur Einbettung auf den Friedhof. Eindrücklich und ergreifend war dabei die Erzählung einer Angehörigen.
 

Aus grauen Wolken tropfte es ab und zu, dann schien wieder die warme Junisonne auf die zahlreichen Menschen, die an der feierlichen Veranstaltung auf der großen Kriegsgräberstätte nahe Stettin teilnahmen. Viele Schülerinnen und Schüler waren dabei, teilweise schwarz gekleidet, manche auch in bunten Volksbund-T-Shirts. Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Kirche und Gesellschaft nahmen teil, ebenso Angehörige der dort Bestatteten und der multinationale Korps aus Stettin. Eine hochrangige Vertreterin des polnischen Instituts für nationales Gedenken legte Blumen nieder - ein erfreulicher Hinweis auf gute deutsch-polnische Zusammenarbeit unter neuen Vorzeichen.
 

Der Mensch ist böse von Jugend an

370 Menschen, die in den Wirren des Zweiten Weltkriegs gestorben waren, fanden an diesem Junitag endlich ein würdiges Grab, fast acht Jahrzehnte nach ihrem meist gewaltsamen Tod. 171 Soldaten, 199 Zivilistinnen und Zivilisten, die die Umbetter des Volksbundes im letzten Jahr geborgen hatten. Die Toten aus der Gegend um Posen wurden von Tomas Czabanski und seinem Team Pomost exhumiert.

„Wenn man all diese Gräber sieht, dann kann man sich nur fragen, warum der Mensch noch nicht gelernt hat“, zitierte Militärpfarrer Bernhard Riedel den Eintrag aus einem Besucherbuch. Eine Antwort fand er im Alten Testament, im Buch Genesis: „Der Mensch ist böse von Jugend an.“ Doch ein anderer prominenter Friedhofsbesucher wollte dieses harte Urteil schon vor zweieinhalb Jahrhunderten so nicht stehen lassen.

Immanuel Kant hatte 1795 einen Friedhof in Königsberg besucht, als er auf dem Heimweg das Schild an einem Gasthof las: „Zum ewigen Frieden“. Zu dieser Zeit kämpfte Preußen gegen das revolutionäre Frankreich – der Frieden war weit weg, geschweige denn ewig.

Frieden ist kein natürlicher Zustand

Wie Kant im Jahre 1795 stehen auch heute Menschen vor der Frage, wie Frieden geschaffen werden kann. Kants Erkenntnisse sind zweieinhalb Jahrhunderte später noch gültig: Frieden ist kein natürlicher Zustand, er muss gehalten und abgesichert werden.

Die Toten der Kriege mahnen zum Frieden. Deshalb müssen sie ihre Stimme wieder erhalten. Dabei unterstützen die vielen Schülerinnen und Schüler der Regionalschulen Löcknitz und Penkun sowie der Europaschule Rövershagen. Dort gibt es eine AG Kriegsgräber, in der die Jugendlichen Kriegsgräber pflegen, Biografien recherchieren und unter Anleitung einer engagierten Lehrerin ein eigenes Workcamp organisieren.

An diesem Tag lasen die Jugendlichen aus Tagebüchern und Feldpostbriefen der Toten vor: von ihren Hoffnungen, wieder nach Hause zu kommen, ihre Bekenntnisse und ihre Liebesbeteuerungen an ihre Frauen, an Kinder, die sie vielleicht noch nie gesehen hatten. Die Jugendlichen gaben den Toten ihre Stimmen wieder. Dabei wurde klar: Es waren nicht nur Soldaten, es waren stolze Väter und besorgte Söhne, liebende Ehemänner, große und kleine Brüder, gute Freunde. Jeder Tote nahm eine Welt voller Hoffnungen und Wünsche mit ins Grab, die unwiderruflich verloren war.

Heute der glücklichste Mensch

Doch jeder Tote hat eine Würde. Sie zumindest kann man ihm wiedergeben. Davon sprach an den Gräbern die 90jährige Anneliese Sahr, reflektiert und mit klarer Stimme. Sie erzählte den Jugendlichen die Geschichte von zwei Toten, die auf der Kriegsgräberstätte Stare Czarnowo liegen: ihre Großeltern Friedrich und Minna Sielewski. Sie wurden Anfang 1945 in Ostpreußen von Soldaten der Roten Armee erschossen.

„Mein Großvater hatte ein braunes Hemd an. Vermutlich hielten sie ihn für einen hochrangigen Nazi. Es war sehr kalt und meine toten Großeltern wurden auf Eis gelegt. Als das Eis schmolz, haben Nachbarn sie im Garten begraben. Jahre später sollte dort gebaut werden. Versteht mich richtig“, so wandte sich Anneliese Sahr an die Jugendlichen.

Den Toten ihre Stimme geliehen

„Es ist wichtig und richtig, dass dort gebaut wurde. Die Menschen brauchen Wohnungen. Doch ich stellte mir vor, was mit den Knochen meiner Großeltern geschehen würde. Da wandte ich mich an den Volksbund. Sie sind dorthin gefahren, sie haben meine Großeltern exhumiert und hierhergebracht. Hier haben sie ein ruhiges Grab gefunden. Und heute –“, sie schaut zu den Jugendlichen und das erste Mal zittert ihre Stimme – „bin ich der glücklichste Mensch, weil ihr hier seid und ihr an die Toten erinnert.“

Das Publikum ist so still, dass nur der Wind in den Blättern zu hören ist. Bei vielen Mädchen fließen Tränen. Die Lebenden haben den Toten ihre Stimme geliehen und zum Frieden gemahnt. Im Anschluss wurden zahlreiche Kränze niedergelegt. Die Sonne verschwand und dann begann es wieder, aus den Wolken zu tropfen.

Der Volksbund ist...

... ein gemeinnütziger Verein, der dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Im Auftrag der Bundesregierung sucht und birgt er Kriegstote im Ausland, bestattet sie würdig, pflegt ihre Gräber in 46 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 30.000 junge Menschen.

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