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Gauck: Versöhnung als Geschenk begreifen!

Deutsch-französische Jugendbegegnung am Hartmannsweilerkopf

„Wir spüren, dass der Wille nach Frieden unter Jugendlichen stark ausgeprägt ist. Ein Beweis dafür ist unser großes Interesse, andere Länder und deren Kulturen kennenzulernen. Der beste Weg, die Beziehungen zwischen Völkern zu intensivieren, ist der direkte Kontakt der Jugend durch Austauschprogramme. Wir sind die Zukunft!“ Diese Sätze stammen aus der Friedensbotschaft von 100 Jugendlichen aus Deutschland und Frankreich. Anlässlich der Gedenkveranstaltung „100 Jahre Erster Weltkrieg“ am 3. August 2014 hinterlegen sie diese Botschaft gemeinsam dem Bundespräsidenten Joachim Gauck sowie dem französischen Staatspräsidenten François Hollande am Hartmannsweilerkopf.

Die Friedensbotschaft der Jugendlichen ist nur ein Ergebnis der vom Deutsch-Französischen Jugendwerk (DFJW), dem Volksbund, dem französischen Verband Les Francas und Haute-Alsace Tourisme organisierten Jugendbegegnung in Colmar/Elsaß. In zahlreichen Seminaren und Kunstaktionen haben sie ihre Botschaft vorbereitet: „Frieden und Freundschaft zwischen den Völkern sind nicht selbstverständlich. Deshalb ist es Eure Aufgabe, den Austausch zwischen den Kulturen aufrechtzuerhalten und durch zukünftige Jugendbegegnungen auszubauen.“

Diese Hoffnung auf Frieden teilen auch Joachim Gauck und François Hollande. Das Besondere aber ist, dass sie dies am Hartmannsweilerkopf zum ersten Mal gemeinsam verkünden. Dieses Schlachtfeld des Ersten Weltkrieges zählt zu den wichtigsten französischen Erinnerungsorten. Bei den Kämpfen in den südlichen Vogesen standen sich Deutsche und Franzosen im Ersten Weltkrieg monatelang in wechselnden Positionen gegenüber. Allein die Herrschaft über den Gipfel wechselte acht Mal. Doch als beständiges Ergebnis blieben nur die etwa 30 000 Toten vom Hartmannsweilerkopf und tausende weitere deutsche Kriegstote, die auf der deutschen Kriegsgräberstätte Cernay ihre letzte Ruhestätte haben.

Der Menschenfresserberg

An diesem historischen Ort werde die Sinnlosigkeit des Krieges besonders deutlich, sagt Joachim Gauck vor etwa 400 Gästen: „Der Hartmannsweilerkopf war ein Schlachthaus. Man nennt ihn bis heute den Menschenfresserberg, den mangeur d’hommes. Doch nicht der Berg hat die Menschen vernichtet und gefressen. Menschen selber waren es, die buchstäblich alle Mittel probiert und eingesetzt haben, um sich gegenseitig zu vernichten. Es ist eben allein der Mensch, der unmenschlich handeln kann.“

Zugleich weist der Bundespräsident an diesem historischen Ort auf die Veränderung hin, die in den vergangenen hundert Jahren stattgefunden hat: „Dass Frankreich und Deutschland einmal zwei selbstbewusste, zugleich einander freundliche Nachbarn sein würden: Das war lange Zeit nicht vorstellbar. Nachdem Deutschland im Ersten und im Zweiten Weltkrieg Frankreich überfallen hatte, können gerade wir Deutschen diese Versöhnung nur als Geschenk begreifen. Und wir alle können nichts als dankbar sein für das große Werk der Versöhnung, das von Vertretern jener Generation ins Werk gesetzt wurde, die sich nur kurz zuvor noch als Erbfeinde zu erkennen glaubten.“ Heute stehe das Gemeinsame in Europa an erster Stelle – und nicht mehr der Nationalismus.

Tür des Dialoges ist offen

Der französische Staatspräsident François Hollande stimmt Bundespräsident Joachim Gauck in der Betrachtung der positiven Entwicklung zu, die Europa nach den beiden Weltkriegen genommen habe: „Die Tür des Dialoges ist weit geöffnet“. Zugleich erinnert Hollande an das jüngste Treffen der beiden Staatsoberhäupter in Oradour. An diesem so bedeutsamen Ort der Erinnerung an die dunkelsten Seiten des Krieges habe sich die Gemeinsamkeit des aufrichtigen Gedenkens bereits offenbart.

Künstlerische Jugendarbeit

 Das Gemeinsame steht auch für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendbegegnung am Hartmannsweilerkopf und im elsässischen Colmar an erster Stelle. Für die Jugendlichen des vom DFJW im Auftrag der Mission du Centenaire und des Comité du Monument National du Hartmannswillerkopf organisierten Friedensseminars sind die Freundschaft untereinander und das Verständnis füreinander längst eine Selbstverständlichkeit.

Das zeigt sich bereits im Vorfeld der Veranstaltung während der sechs Seminare oder Workshops der Jugendbegegnung: Dabei engagieren sich die Jugendlichen und jungen Erwachsenen vom 31. Juli bis 4. August intensiv in sechs Workshops zur Geschichte und Erinnerungsarbeit. Die Intention der verschiedenen Seminare ist immer dieselbe: Die jungen Teilnehmer im Alter zwischen 16 und 26 Jahren verarbeiten die Thematik des Ersten Weltkriegs auf künstlerischem Wege. Auf dem Programm stehen außerdem eine historische Spurensuche vor Ort sowie eine Diskussion mit Historikern über die pädagogischen Herangehensweisen und Formen der Erinnerungskulturen in Deutschland und Frankreich.

Am letzten Abend dieser so besonderen Jugendbegegnung stellen die Jugendlichen, die jeweils in gemischten deutsch-französischen Gruppen gearbeitet haben, ihre Ergebnisse vor. Und die sind wirklich beeindruckend: Da sind die bewegenden Fotos von der Gedenkstätte am Hartmannsweilerkopf sowie der deutschen Kriegsgräberstätte Cernay, die beeindruckenden Darstellungen der beiden Theatergruppen, der Blick in die Zukunft aus dem Seminar Museeum 2114 und die Beiträge aus dem Bereich Graffiti, Comic oder Poetry Slam. Sie alle sind besonders gut gelungen und begeistern Zuschauer wie auch die Teilnehmenden selbst.

Ohnehin sind die Jugendlichen von der Begegnung mit den beiden Präsidenten am Hartmannsweilerkopf hellauf begeistert. Fast jeder bekommt die Gelegenheit zu einem Foto mit einem der beiden berühmten Präsidenten, viele sprechen sogar persönlich mit ihm. Am dichtesten dran sind aber Gabriel Finociety und Schabo Sidiqi. Sie verlesen die eingangs erwähnte Friedensbotschaft und übergeben sie schließlich persönlich den beiden Präsidenten. Die legen sie dann in den Grundstein des geplanten deutsch-französischen Historials am Hartmannsweilerkopf, an dem sich auch der Volksbund finanziell beteiligt, und das die durchaus unterschiedlichen französischen und deutschen Erinnerungskulturen bezüglich des Ersten Weltkrieges erstmals gemeinsam darstellt.

Miteinander solidarisch sein

„Deshalb freue ich mich, heute gemeinsam mit Präsident Hollande, hier am Hartmannsweilerkopf, den Grundstein einer gemeinsamen französisch-deutschen Gedenkstätte zu legen. (...) Wenn wir die Geduld aufbringen, uns mit den Sichtweisen und den Erzählperspektiven des anderen vertraut zu machen, dann lernen wir immer besser, miteinander solidarisch zu sein. Dazu kann die neue Gedenkstätte einen Beitrag leisten.“, sagt Gauck in diesem historischen Moment und erhält dafür nicht nur von den 100 Jugendlichen großen Applaus.

Am Ende der Veranstaltung im Gedenken an die Kriegserklärung des Deutschen Reiches gegenüber der Republik Frankreich vor 100 Jahren nehmen der deutsche Bundespräsident und der französische Staatspräsident selbst die Maurerkelle in die Hände. Ein paar Handgriffe später ist der Grundstein versiegelt. In ihm ruht die Botschaft der Jugendlichen für die nachkommenden Generationen: Wir wünschen uns Frieden in Europa – und in der ganzen Welt!

Maurice Bonkat