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Gedenken in Marienbad: Kurbad, „Luftschutzkeller“, Lazarettstadt

Freiwilligen-Pflegeeinsatz in Tschechien ging mit Veranstaltung auf dem „Berliner Friedhof“ zu Ende

Das „Ausweichkrankenhaus der Stadt Berlin” war so weit von der Hauptstadt entfernt, dass alliierte Bomberverbände es nicht erreichen konnten: In Marienbad sollte Max Vette im Frühjahr 1945 gesund werden. Doch er hatte keine Chance: Auf dem „Berliner Friedhof” des westböhmischen Kurbads ist er begraben. Bei einer Gedenkstunde schlug Detlef Fritzsch, stellvertretender Volksbund-Präsident, den Bogen von dort über die Geschichte der Stadt und des Friedhofs bis zu einem Freiwilligeneinsatz. 
 

Prominentester Zuhörer war der deutsche Botschafter in Tschechien, Andreas Künne, als Detlef Fritzsch ans Rednerpult trat. Wir geben die Rede des Vizepräsidenten des Volksbundes Deusche Kriegsgräberfürsorge e. V. gekürzt wieder:

„Marienbad ist eines der drei weltberühmten Kurbäder des westböhmischen Bäderdreiecks (...). Seit dem 24. Juli 2021 gehört es zum UNESCO-Welterbe. (...). Als Folge des Münchner Abkommens von 1938 (Abtretung des Sudetengebiets an Deutschland) und der anschließenden Besetzung des Sudetenlandes durch deutsche Truppen gehörte Marienbad bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zum ‚Reichsgau Sudetenland des Deutschen Reiches’.

Außerhalb der Reichweite alliierter Bomberverbände gelegen, wurde Böhmen hinter vorgehaltener Hand gelegentlich auch ‚Luftschutzkeller des Reiches’ genannt.
 

‚Charité’ großenteils verlegt

Aus Marienbad wurde bald nach Kriegsbeginn eine Lazarettstadt. Ende 1943 waren im Kurort insgesamt 90 Häuser – auch Kur-Hotels –  beschlagnahmt worden. Die ‚Charité’ wurde großenteils nach Marienbad verlegt, weil in Berlin aufgrund der ständigen Luftangriffe der Alliierten für die Sicherheit der Patienten nicht mehr garantiert werden konnte. (...)

Am 6. Mai 1945 wurde es von der 3. US-Armee befreit. Nach dem Abzug der Amerikaner geriet es in die sowjetische Einflusssphäre und im Sommer 1945 fand die viel hundertjährige deutsche Besiedlungsgeschichte Marienbads und Böhmens ein Ende.

Wie vor etwa 40 Jahren in der Zeitung ‚Stimme und Weg’ des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu lesen war, schrieb der verwundete Berliner Max Vette am 3. April 1945 aus Marienbad an seine Ehefrau Else und seine damals 19-jährige Tochter Erika: ‚Meine Lieben! Bin nach beschwerlicher und strapaziöser Fahrt glücklich gelandet. Herzliche Grüße!’ Er sollte seine Familie nie wiedersehen.
 

Grab schien unerreichbar

Max Vette starb wenige Wochen später im ‚Ausweichkrankenhaus der Stadt Berlin’ an seinen Verletzungen. Seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Marienbader städtischen Friedhof, in dem eigens für die unfreiwilligen ‚Gäste’ eingerichteten Gräberfeld. Mit ihm wurden hier 1.059 so genannte ‚Berliner Tote’ begraben. Etwa weitere 3.000 Soldaten – Lazarett-Tote – fanden auf dem städtischen Friedhof ihre letzte Ruhestätte.

Im Herbst 1945 erhielten Else Vette und Tochter Erika in Berlin-Neukölln die offizielle Todesnachricht. Zwar blieb dieser Familie somit die Ungewissheit, das jahrelange Bangen und immer wieder enttäuschte Hoffen auf Rückkehr erspart, doch erschien den Angehörigen in der Nachkriegszeit und im Kalten Krieg die letzte Ruhestätte Max Vettes unerreichbar.
 

Foto dank Zufallsbegegnung

Viele Jahre unterstützte Erika Vette den Volksbund mit kleinen Beiträgen zur Haus- und Straßensammlung. Ende der 1980er Jahre hielt ihr zufällig der damals 19-jährige Olaf – Mitglied des Jugendarbeitskreises Berlin – seine Spendenbüchse entgegen. Beide kamen ins Gespräch.

Erika erzählte von ihrem Vater, der vor 40 Jahren in Marienbad gestorben und dort begraben worden war. Sie sei damals in Olafs Alter gewesen. Olaf berichtete von einem Jugendlager des Volksbundes in der Tschechoslowakei. Bald darauf erhielt Erika ein Foto vom Grab ihres Vaters, auf dem ein Blumenstrauß als Gruß in ihrem Namen stand.
 

Jugendlager trotz Eisernen Vorhangs

Seit Mitte der 1960er Jahre fuhren junge Leute des Landesverbandes Berlin nach Marienbad und pflegten die Gräber der ‚Berliner Toten’ auf dem Städtischen Friedhof. Möglich wurden diese Jugendlager in der damaligen Tschechoslowakei durch zahlreiche Einzelinitiativen und Kontakte mit tschechischen Freunden trotz des Eisernen Vorhangs. Einige der tschechischen Unterstützer hatten deutsche Konzentrationslager überlebt.

Auch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Vertrages 1968 überstand diese gemeinsame Arbeit für den Frieden. So wurde hier sprichwörtlich die ‚Versöhnung über den Gräbern’ gelebt.
 

Kriegsgräbefürsorge blieb schwierig

Die tschechoslowakische Regierung hatte zwar die Bestimmungen des humanitären Völkerrechts formal akzeptiert, trotzdem blieb eine Fürsorge für die deutschen Kriegsgräber äußerst schwierig. Hilfe über Kontakte zur regionalen Verwaltung und kirchliche Unterstützung war nur sehr eingeschränkt möglich.

1990 beginnt Volksbund-Arbeit

Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs konnte der Volksbund ab 1990 offiziell tätig werden. Bis heute beruht seine Arbeit auf Artikel 30 des deutsch-tschechoslowakischen Nachbarschaftsvertrages vom 27. Februar 1992. Darin erklären beide Regierungen die Absicht, die Kriegsgräber zu schützen und ihre Erfassung und Pflege zu ermöglichen. Ein deutsch-tschechisches Kriegsgräberabkommen steht leider bis heute noch aus.

Am 24. Oktober 1992 wurde die zur Kriegsgräberstätte umgestaltete Anlage in Marienbad der Öffentlichkeit übergeben. Außerhalb des Stadtfriedhofs entstand bis 1995 der ‚Park der Versöhnung’. Seit 1997 erinnert eine Informationstafel an die jahrzehntelange Versöhnungsarbeit, die der Volksbund-Landesverband Berlin im Rahmen von Jugendlagern mit der Pflege von Kriegsgräbern geleistet hat. (...)
 

„Handfestester Beitrag”

zum freiwilligen Arbeitseinsatz einer 23-köpfigen Gruppe in den Tagen vor der Gedenkstunde:  Der jüngste Teilnehmer ist 34 Jahre – zwei sind trotz ihrer 84 Jahre mit dabei und das bereits zum neunten Mal. Für die Campleiterin, Jessica Purkhardt, ist es der achte Einsatz.

Berufstätige setzen ihre Urlaubstage ein, um Kriegsgräber zu pflegen. Rentner und Pensionäre greifen zu Pinsel, Farbe und Schaufel, statt sich altersgerechte Wellnessbehandlung zu gönnen. Diese Arbeit für den Frieden und die Versöhnung über den Gräbern ist der sprichwörtlich handfesteste Beitrag, den ein Volksbundmitglied leisten kann. Für dieses Engagement gebührt Ihnen mein großer Dank und Respekt.

Den Kriegsopfern eine würdige letzte Ruhestätte geben und erhalten, die Erinnerung an die Folgen von Krieg und Gewalt wachhalten, an der Klärung von Schicksalen mitwirken und Kriegsgräberstätten zu Lernorten für die Nachgeborenen machen – das ist Ihre Motivation, das macht Sie zu Botschaftern des Friedens und der Völkerverständigung ganz im Sinne unseres Leitsatzes : ‚Versöhnung über den Gräbern’.”

Botschafter: für Abkommen einsetzen 

Detlef Fritzsch dankte auch der Stadtverwaltung um Bürgermeister Martin Hurajcik sowie dem Botschafter. Andreas Künne würdigte das Engagement der Teilnehmer als eine herausragende Leistung ehrenamtlichen Einsatzes für die Belange der Kriegsgräberfürsorge.

Der Gast aus Prag betonte, dass die Pflege von Kriegsgräbern nicht nur rückwärts gewandt sei, sondern insbesondere heute – im Zeichen kriegerischer Auseinandersetzungen in Europa – neuerlich an Bedeutung gewinne. Er sagte weitere Unterstützung der Volksbund-Arbeit zu und will sich für ein deutsch-tschechisches Kriegsgräberabkommen einsetzen.

Mehr über die Freiwilligen-Arbeitseinsätze lesen Sie hier:
Freiwilligen-Camps: lieber arbeiten als am Strand liegen
Warum mache ich das?

 

Der Volksbund ist ...

... ein gemeinnütziger Verein, der dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Im Auftrag der Bundesregierung sucht und birgt er Kriegstote im Ausland, bestattet sie würdig, pflegt ihre Gräber in 46 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 30.000 junge Menschen.

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