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U-Boot-Wracks vor Zeebrugge: Ein Kranz für den Ururgroßonkel

Deutsche, Belgier und Briten gedenken der Opfer des Ersten Weltkrieges

Sie stehen noch an der Reling, als alle Kränze und Gestecke im Wasser gelandet sind und schnell davontreiben. Zwei Frauen, ein Mann, zwei Kinder. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. hatte die Familie eingeladen, vor der Küste des belgischen Zeebrugge an U-Boot-Besatzungen des Ersten Weltkrieges zu erinnern. Franz Baron, Ururgroßonkel der Kinder, war einst an Bord.


Gedenken an Land und auf See in internationalem Rahmen – das hatten der belgische Gouverneur Westflanderns, Carl Decaluwé, und die deutsche Botschaft in Brüssel vorbereitet. Unter den Gästen war auch der Mann, dem all das zu verdanken ist: Tomas Termote.
 

U-Boote im Herbst 2023 identifiziert

​​​​​​Wie kaum ein anderer weltweit kennt sich der belgische Unterwasser-Archäologe mit der deutschen U-Boot-Flotte des Ersten Weltkrieges und den Kämpfen in den Gewässern vor der Küste Flanderns aus. Dem passionierten Taucher war es im Herbst 2023 gelungen, die Wracks SM U 5 und SM UC 14 zu identifizieren. Termote informierte die Deutsche Botschaft und diese wiederum den Volksbund.

Eine Erbenermittlungsfirma aus Hamburg mit umfassender Marine-Kartei bot kostenfrei Hilfe an und machte sich auf die Suche nach Angehörigen. So erfuhren die Schwestern Dr. Sylvia Latarnik und Eva-Maria Kaufmann im Frühjahr zum ersten Mal von der Existenz eines Familienmitglieds, Obermaschinenmaat Franz Baron.

Verschollen vor Flanderns Küste

An Bord von U 5 – auf Patrouille vor der belgischen Küste – war er mit 28 weiteren Besatzungsmitgliedern am 18. Dezember 1914 gestorben, 22 Jahre jung. An Bord von UC 14 kamen drei Jahre später ganz in der Nähe 17 weitere Soldaten um, am 3. Oktober 1917. Beide U-Boote sanken offenbar durch Minen-Explosionen.

107 Jahre später umrundet die deutsche Korvette „Braunschweig“ an diesem Vormittag die Position der beiden Wracks. Mit an Bord sind belgische Kamerateams und Offizielle aus Belgien, Deutschland und Großbritannien. Wieder und wieder wird die Familie gefragt, warum sie nach so langer Zeit und mit dem Abstand mehrerer Generationen den weiten Weg aus Wiesbaden und Köln auf sich genommen hat. „Weil Franz Baron Familienmitglied war, ein junger Mann aus einem kleinen Dorf, das heute in Polen liegt“, sagt Urgroßnichte Eva-Maria Kaufmann.
 

Letzter Abschiedsgruß

„Es ist wichtig, etwas über Vorfahren zu wissen, und es ist richtig, einen letzten Abschiedsgruß zu geben für jemanden, der in Vergessenheit geraten ist. Letzteres ist sehr traurig“, ergänzt ihre Schwester, Dr. Sylvia Latarnik.
 

Wenn Gemeinsamkeit unvorstellbar ist

Noch etwas ist den Frauen wichtig. Krieg sei auch Thema bei ihnen zu Hause, so Eva Kaufmann – „auch weil ukrainische Flüchtlinge mit Kindern bei uns gewohnt haben. Es ist gerade unvorstellbar, dass – so wie wir heute mit Belgiern und Briten an die Kriegstoten erinnern – später Russen und Ukrainer zusammen gedenken“, ergänzt die 45-Jährige. „Es ist so schön, mit anderen Nationen hier zu sein und dass die Kinder sehen, dass man aus der Geschichte lernen kann.“

Für die achtjährige Luisa und ihren älteren Bruder Leander ist es keine Frage, dass sie dabei sind. „Für mich ist das eine schöne Erfahrung – es ist ja egal, wie alt man ist“, sagt der 13-Jährige. „Die Leute, die hier gestorben sind, waren ja auch noch jung. Ich finde, es ist wichtig, an sie zu erinnern.“

Gedenken auf Soldatenfriedhof

Luisa und Leander waren auch zuvor dabei, als auf der britischen Kriegsgräberstätte Zeebrugge mit deutschem Gräberfeld deutsche, belgische und britische Delegationen der Toten aller Kriege gedacht hatten.

Trüb und verregnet hatte der Tag begonnen. Unter Regenschirmen hörten die Gäste des Volksbundes Reden, das deutsche Totensignal und die Nationalhymnen und sahen, wie Vertreterinnen und Vertreter in Zivil und in Uniform Kränze niederlegten.

„Nie wieder Krieg“ Aufruf zum Handeln

 „Gedenken hat kein Verfallsdatum“, hatte Volksbund-Präsident Wolfgang Schneiderhan dort gesagt. „Der Tod derjenigen, die vor über 100 Jahren ihr Leben verloren haben, berührt uns genauso wie der der Soldaten und Zivilisten, die heute Opfer militärischer Aggressionen in Europa sind. Alle unsere Bemühungen müssen darauf gerichtet sein, dass unser gemeinsames Leben in Europa friedlich ist und nicht unser gemeinsamer Tod.“

„Nie wieder Krieg“ sei ein ständiger Aufruf zum Handeln, das auf Versöhnung und Zusammenarbeit, aber auch auf den Schutz internationaler Vereinbarungen und Garantien ausgerichtet sein müsse. „Die Tatsache, dass wir, Briten, Belgier und Deutsche, heute hier gemeinsam stehen, gibt uns Hoffnung und Mut“, so der Volksbund-Präsident.

„Zeichen des Widerstands“

Für den britischen Gräberdienst hatte Peter Hudson gseprochen. Der stellvertretende Vorsitzende der Commonwealth War Graves Commission (CWGC) erinnerte an den „Zeebrugge Raid“, den Überfall auf Zeebrugge im April 1918. Die meisten der Toten auf dieser Kriegsgräberstätte waren dabei ums Leben gekommen.

„Gedenkstunden sind ein Zeichen des Widerstands gegen die zerstörerischen Kräfte des Hasses und der Spaltung. (...) Wir sind es den Verstorbenen schuldig, uns für eine Welt einzusetzen, in der solche Opfer nicht mehr nötig sind und in der Frieden und Verständnis herrschen“, so Hudson.

Andacht in der Sint-Donatianuskerk

Unter den Zuhörern: die Familie von Gisela Sturm. Ihr Großonkel, Obermaschinist Georg Grunert, war an Bord von UC 14 ertrunken. Ihre Tante erinnert sich an Erzählungen über ihn, in einem Stammbaum der Familie ist sein Name verzeichnet – vergessen war dieser Mensch also nie.

In der Sint-Donatianuskerk nahmen sie und alle anderen geladenen Gäste an einer ökumenischen Andacht teil, bevor es im Konvoi zum Hafen ging – zur belgischen Militärbasis, wo die Korvette wartete.

„Großes Geschenk“ und Entschlossenheit

Keine halbe Stunde dauerte die Fahrt bis zu einer Position zwischen den Wracks. Als das Reden beginnt, reißt der Himmel auf. Der Wind weht heftig.

Eckart Blaurock, ständiger Vertreter des deutschen Botschafters in Brüssel, spricht von einem „großen Geschenk, dass wir uns heute hier als Bürger befreundeter Staaten, verbündeter Länder, als Europäer oder Verbündete in die Augen schauen können“ – entschlossen, gemeinsam dafür zu sorgen, dass sich so etwas nicht wiederholt, „wo immer wir direkten Einfluss nehmen können.“

Belgien und Deutschland setzten sich mit vielen anderen Ländern in der EU, der NATO und darüber hinaus dafür ein, dass „imperialistische Militärgewalt“ in Europa nicht länger profitabel sei, so der Botschaftsvertreter.
 

Rund 2.500 Schiffe versenkt

Von Flandern aus hätten die U-Boote der Kaiserlichen Deutschen Marine bis zum Ende des Ersten Weltkrieges rund 2.500 alliierte Schiffe versenkt, sagt Dirk Backen. Der Volksbund-Generalsekretär schließt alle Opfer dieser Schiffe – darunter viele Handelsschiffe – in das Gedenken ein.

„Seien Sie versichert, dass Georg Grunert und Franz Baron nicht umsonst gestorben sind“, sagt Dirk Backen an die Angehörigen gerichtet. Frieden und Freundschaft mit den britischen und belgischen Freunden seien Erbe und Auftrag. „Möge dieser Friede immerwährend sein!“

Seekriegsgräber sind bedroht

Carl Decaluwé, als belgischer Gouverneur der Provinz Westflandern Gastgeber der Veranstaltung, rückte die Gefahr für Seekriegsgräber in den Vordergrund: „Das Erbe auf dem Meeresgrund liegt uns sehr am Herzen. Jeder Fund muss gemeldet werden und alle Fundstücke gehören zu einer Geschichte, die wir mit der Öffentlichkeit teilen wollen.”

Wie bedroht Wracks und Totenruhe auf dem Meeresgrund sind, weiß einer unter den Zuhörern besonders gut: Dr. Christian Lübcke, Volksbund-Geschäftsführer des Landesverbandes Hamburg. Er setzt sich seit zwei Jahren für Erfassung und Schutz von Seekriegsgräbern ein.
 

Dialog, Diplomatie, Zusammenarbeit

Major General Mark Totten, Director auf Naval Staff der britischen Marine, spricht von „jungen verlorenen Seelen, die nur ihren Nationen dienen wollten“. Die Erinnerung an sie und ihren Tod „im kalten dunklen Wasser voller Bedrohungen bestärken uns in unserem Bemühen, Kriege heute zu verhindern.“

Der Schutz der Gräber liegt nicht in ihrer Macht, das Erinnern an Franz Baron und Georg Grunert schon – als beide Familien mit allen anderen Gästen wieder an Land gehen, ist eines sicher: Dieser Tag wird ihnen im Gedächtnis bleiben und die Erinnerung an die Toten von vor mehr als 100 Jahren lebendig halten.

„Es war für uns alle eine bewegende und ehrwürdige Veranstaltung, die den Opfern auf beeindruckende Weise Respekt zollte. Ihr Engagement und Ihre Hingabe, eine so bedeutungsvolle Feier zu gestalten, verdienen höchste Anerkennung.“

Eva-Maria Kaufmann, Urgroßnichte von Franz Baron

Ehrenkreuz und Coin

Beim Ausklang an Land zeichneten Präsident und Generalsekretär noch zwei Männer aus, die sich um das Vermächtnis der Kriegstoten verdient gemacht haben: den Unterwasser-Archäologen Tomas Termote und Kapitän zur See a. D. Michael Setzer, Präsident des Verbands Deutscher Ubootfahrer. Er erhielt das Goldene Ehrenkreuz, die höchste Auszeichnung, die der Volksbund an Personen vergibt –, für „unermüdliche Arbeit für den Frieden und seine Verdienste um den Volksbund”, so Wolfgang Schneiderhan.

Termote erhielt die Coin des Präsidenten als Auszeichnung. Seit ihrer Einführung vor fünf Jahren ist sie erst zwölf Mal vergeben worden. „Die heutige Zusammenkunft wäre ohne Sie und Ihre hervorragende Arbeit nicht möglich gewesen”, sagte Dirk Backen. „Ich danke Ihnen!”

Tagung zu Seekriegsgräbern

Der Schutz von Wracks und Seekriegsgräbern war im Frühjahr erstmalig Thema einer Tagung in Hamburg, zu der die Konrad-Adenauer-Stiftung zusammen mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. eingeladen hatte.

Über die besondere Situation von Seekriegsgräbern informieren Beiträge aus der Reihe #volksbundhistory und vom Landesverband Hamburg.
 

Der Volksbund ist ...

... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Fast 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 46 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich mehr als 30.000 junge Menschen.

Die Gräbersuche Online umfasst inzwischen fast 5,4 Millionen Datensätze. Wer noch einen Angehörigen vermisst, kann dort recherchieren und gegebenenfalls einen Suchantrag stellen. Der Volksbund ist dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen ist. Aktuell bittet er um Spenden für eine Notausbettung in Belarus.

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