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Vergangenes erinnern – Zukunft gestalten

Jugendbegegnung im Deutschen Bundestag

Die Veranstaltung des Deutschen Bundestages für die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar war eine würdiges – und unter anderem durch die Teilnahme von Marcel Reich-Ranicki ein bewegendes Gedenken. Schon Tage zuvor begegneten sich dort auch 80 Jugendliche, die sich in der Aufarbeitung und für die Opfer des Holocaust engagieren. Unter ihnen waren auch sechs junge Erwachsene, die sich in der Volksbund-Jugendarbeit engagieren. Darüber berichtet Teilnehmer Christian Gerl:

Es war ein bewegender Moment, als einer der bekanntesten Zeitzeugen Deutschlands den Plenarsaal des Bundestags betrat. In seiner Rede schilderte er sein Leben im Warschauer Getto, seine damalige Arbeit für den Judenrat und schließlich die Flucht vor dem vermeintlich sicheren Tod, welchen viele seiner Weggefährten ereilte.
 

Hat Deutschland aus seiner Geschichte gelernt?

Auch Bundestagspräsident Norbert Lammert rief dazu auf, nicht wegzusehen, sich zu engagieren und Mut in der Bekämpfung des Rechtsextremismus zu zeigen. In der anschließenden Podiumsdiskussion diskutierten wir ganz offen mit dem Bundestagspräsidenten und Charlotte Knobloch, der Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayerns. Die Fragen, „Hat Deutschland aus seiner Geschichte gelernt?“, „Ist das Thema Erinnern und Gedenken vielleicht sogar schon zu präsent“ und „Müssen die heutigen Generationen auch nach 70 Jahren immer noch schuldig fühlen?“ hatten wir bereits während der voran gegangenen 16. einwöchigen Jugendbegegnung ausführlich besprochen. Die Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus unter dem Leitthema, „Berlin im Nationalsozialismus: Stadt der Täter – Stadt der Opfer“, bildete den Abschluss dieser Jugendbegegnung mit Teilnehmern aus ganz Deutschland, Frankreich, den USA, Israel, Österreich, der Tschechischen Republik sowie aus Belarus. Auf dem Wochenprogramm standen unter anderem Führungen durch das Jüdische Museum, ein Vortrag in einer Synagoge, der Besuch des ehemaligen KZ Sachsenhausen und diverser Ausstellungen. Am meisten gelernt haben wir jedoch aus den Diskussionen mit Zeitzeugen wie dem Sachsenhausen-Überlebenden Dr. Adam König oder Margot Friedländer.
 

Mahnen, erinnern, dokumentieren

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung gab es Arbeitsgruppen zu verschiedenen Themen: Einblick in die NS-Geschichte, Zwangsarbeit, Polizei und NS-Verbrechen, der Mord an den Europäischen Juden, Überleben im Versteck, Mahnen, erinnern, dokumentieren und Euthanasie. Paul Wenzel aus dem Landesverband Hessen und Charlotte Klauser vom Landeverband Sachsen-Anhalt beschäftigten sich ausführlich mit der NS-Geschichte am Beispiel vom Leben Marcel Reich-Ranickis. Besonderes Interesse der Teilnehmer des Volksbundes bestand an der Gruppe „Mahnen, erinnern, dokumentieren“, welche sich zum einen mit der Präsenz der NS-Vergangenheit und Verbrechen im Stadtbild Berlins auseinandersetzte, zum anderen aber auch den Bogen zur aktuellen Erinnerungskultur und der praktischen Arbeit des Gedenkens beschäftigte. David Hellwig vom Landesverband Baden-Württemberg, Manuel Mink (Landesverband Hessen) und Ansgar Salzwedel (Landesverband Berlin) widmeten sich in ihrer Gruppe der Frage, wie das Gedenken konkret in der Hauptstadt umgesetzt wurde und diskutierten über die verschiedenen Formen der Mahn- und Denkmäler. Ihre Erkenntnisse fassten sie in einer kurzen Präsentation zusammen.

Für Fragen standen neben den Ausstellungsführern auch der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Prof. Dr. Günther Morsch zur Verfügung. Diese gingen sehr fundiert und ausführlich auf die Teilnehmer ein. Wir merkten: Hier nimmt man uns ernst, hier wird auf Augenhöhe diskutiert.
 

Aufarbeitung der Geschichte

Die anderen Arbeitsgruppen hatten ebenfalls individuelle Programmpunkte. So besuchte die Gruppe „Polizei und NS-Verbrechen“ die Ausstellung „Topographie des Terrors“ auf dem ehemaligen Reichsicherheitshauptamts. Sie arbeitete in einer anschließenden Diskussion die zentrale Rolle der Polizei zur Zeit der NS-Verbrechen heraus. Entgegen der sehr umstrittenen Meinung, die Polizei habe an keinerlei Verbrechen teilgenommen, gibt es Beweise für die Verwicklung von großen Teilen der damaligen Polizeibeamten in NS-Verbrechen. Nach dem Krieg wurden viele ungestraft zurück in den aktiven Dienst geholt. Um die entstandenen Fragen zur heutigen Aufarbeitung der Geschichte innerhalb der Polizei zu klären, bekam die Gruppe eine Führung durch die Polizeihistorische Sammlung der Landespolizei Berlin durch Polizeihauptkommissar a.D. Harold Selowski. Aus seiner 42-jährigen Berufserfahrung beantwortete er sowohl Fragen zur damaligen Polizei wie auch zum heutigen Stand der geschichtlichen Bildung in der Ausbildung.

In der Auswertungsrunde der Jugendbegegnung gab es ein durchweg positives Echo. Dennoch brachte unsere Gruppe auch kleinere Verbesserungsvorschläge an, welche vorrangig die knapp bemessenen Zeiten für Podiums- und Gruppendiskussionen betrafen. Jedoch waren wir uns vollkommen einig, dass man bei diesem anspruchsvollen, ausführlichen und spannenden Programm durchaus Abstriche in dem ein oder anderen Punkt machen musste. Bei der Abreise gab es wohl niemanden unter uns, der nicht mit dem Gedanken nach Hause ging: „Ich habe etwas gelernt, ich werde mich weiter engagieren und die Erinnerung an die Vergangenheit muss für eine bessere Zukunft erhalten bleiben.“

Christian Gerl