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Zeitlose Mahnung: „Mitverantwortung an einer gemeinsamen Zukunft“

Volksbund zum Tod von Prof. Dr. Alfred Grosser – Redner am Volkstrauertag im Bundestag 1974

Ein Mann des Jahrhunderts: Im Alter von 99 Jahren ist der Publizist und Politologe Alfred Grosser am 7. Februar in Paris gestorben. Wie kaum ein anderer hat er das deutsch-französische Verhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt und gilt als intellektuelle Kraft hinter dem Elysee-Vertrag. In seiner Rede am Volkstrauertag 1974 im Deutschen Bundestag rief er zu mehr Empathie, Verantwortung und Engagement auf – ein Appell, der auch 50 Jahre später noch aktuell ist.

 

1925 als Sohn eines jüdischen Arztes in Frankfurt am Main geboren, emigrierte Grosser mit Eltern und Schwester 1933 nach Paris. Vier Jahre später erhielt er die französische Staatsbürgerschaft. Nach Einmarsch der Wehrmacht floh die Familie 1940 nach Südfrankreich, wo Grosser in Aix-en-Provence Germanistik studierte. 1947 reiste der 22-jährige nach Deutschland – eine Begegnung mit einem zerstörten und besiegten Land. Fortan engagierte er sich für die Versöhnung von Franzosen und Deutschen.
 

Zuversicht trotz Trauer

Den Volkstrauertag, an dem der Volksbund an die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft erinnert, nutzte Grosser, um über Trauer zu reflektieren: „Trauer, das bedeutet Optimismus im Rückblick, Lebensbejahung, Zuversicht.“ Ein ungewöhnlicher Ansatz, da man vermutlich zunächst Schmerz, Kummer und Leid mit dem Gefühl verbindet. Aber Grossers Blick ging über das Naheliegende hinaus. Zwar sah er die persönliche Trauer, den individuellen Verlust, forderte aber das Mitgefühl für die Trauer der anderen. Damit öffnete er die Perspektive. Nur so lasse sich eine friedliche Zukunft gestalten, sagte er.

Grosser sah eine Mitverantwortung jedes einzelnen. Jede und jeder trage Verantwortung für die Gesellschaft. „[…] für die eigene Trauer kann man mitverantwortlich sein“, sagte Grosser im Bundestag. Besonders wenn sie durch politische Entscheidungen entstanden ist, auf die man hätte Einfluss nehmen können, man aber darauf verzichtet hat, sagte er sinngemäß. Mitverantwortung sei jedoch keine kollektive Anklage oder kollektive Schuld. Das gäbe es genauso wenig wie eine kollektive Unschuld.
 

Verhinderung von Leid

„Wir sind verpflichtet, die Konsequenzen der in unserem Namen oder dem unserer Eltern verursachten Trauer mitzutragen“, erklärte Grosser. Er forderte eine „zukunftsbezogene Trauerüberwindung“. Ziel sei es, die Trauer von anderen zu verhindern. Hierzu sei das Engagement jedes einzelnen nötig. „Wir sind die Glücklichen, weil wir die Überlebenden sind. Nicht nur, weil wir leben, sondern weil wir durch unser Wirken Sterben und Leid verhindern können.“

Sich aktiv für Frieden und Versöhnung einzusetzen, war Alfred Grossers Anliegen. Genau dieses Ziel hat auch der Volksbund. Seit über 70 Jahren ist das der Kern seiner bildungs- und friedenspädagogischen Arbeit. Für Schulen und Hochschulen bietet der Volksbund eine Vielzahl an Materialien und lokale pädagogische Projekte. Aber auch in Workcamps oder bei PEACE LINE – immer geht es um den Austausch, um einen Perspektivwechsel und das gegenseitige Kennenlernen – um Verständigung und Versöhnung unter dem Motto „Gemeinsam für den Frieden“. Im Idealfall ist das der Grundstein für späteres persönliches Engagement.

Mit Alfred Grosser verliert die Welt einen überzeugten Europäer und der Volksbund einen Freund, Wegbegleiter und Unterstützer.

 

Lesen Sie hier die vollständige Rede von Alfred Grosser zum Volkstrauertag.