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Der erste Weltkrieg und wir

Sieben junge Ehrenamtliche im Volksbund auf dem HistoryCampus 14/14 in Berlin

2014 jährt sich der Ausbruch des ersten Weltkrieges zum hundertsten Mal. Von zahlreichen Förderern und Partnern flankiert, darunter auch dem Volksbund, rief die Bundeszentrale für politische Bildung vom 7. bis 11. Mai 2014 Berlin zu einem lebensgroßen Lernort aus, dem HistoryCampus, und lädt unter dem Motto: „Look back, think forward" 400 junge Europäer aus 40 Nationen ein. Sieben junge Ehrenamtliche im Volksbund waren dabei.

Radikal subjektiv

Von einem Campus, einem Universitätsgelände, hat der HistoryCampus aber höchstens die internationale Zusammensetzung seiner Studentenschaft. Denn auf dem HistoryCampus wird Geschichte nicht ex cathedra gelehrt: Sie wird zerschnippelt und dekonstruiert, sie wird sich auf der Bühne aus dem Leib geschrien und in Spurensuchen durch Berlin mit detektivischem Eifer zusammengeflickt, sie wird verdreht und zurechtgebogen, neu verhandelt und anders gedacht. „Eine radikal-subjektive Geschichtsschreibung", heißt es beim Maxim Gorki Theater, das in diesen Tagen nicht nur die Rolle des Gastgebers übernimmt, sondern auch mit einer spektakulären Programmreihe aufwartet.

In 22 experimentalen Workshop-Formaten erkunden junge Menschen Ursachen, Verlauf und Folgen sowie Rezeption und Erinnerung des ersten Weltkrieges in Europa.

Inga zum Beispiel, 22 und JAKie (Mitglied im JugendArbeitsKreis) aus Hessen, verhandelt als Maréchal Foch den europäischen Frieden – in einer einzigartigen Nachstellung der Pariser Friedenskonferenz von 1919. Das Planspiel eröffnet völlig neue Perspektiven: „Das ist eine sehr lebendige Art, Zusammenhänge zu verstehen. Außerdem wird durch die langen Verhandlungen klar, wie Diplomatie und wie Kompromisse funktionieren. Das sind zwei absolut wichtige Aspekte in der politischen Bildung und ich nehme mir fest vor, in das nächste Workcamp ein Planspiel einzubauen!".

Dialog im Gedenken

Der HistoryCampus ist eine großanlegte Spurensuche, die ihre Anfänge in den Herkunftsorten der Teilnehmenden nimmt und sie nun in Berlin zusammenführt. Viele haben in ihrer Familiengeschichte gekramt, sie haben Feldpostbriefe mitgebracht, Fotografien, Tagebücher. Sie haben aber nicht nur das Gedächtnis ihrer Familie erkundet, sondern auch das ihres Landes, ihrer Region: Welchen Platz nimmt der erste Weltkrieg in den Lehrplänen ein? Wie wird über den ersten Weltkrieg gesprochen? Was wird gesagt, und was wird nicht gesagt?

Der Austausch ist rege und fruchtbar und offenbart eine ungeahnte Menge von nationalen Narrativen. Das ist wenig überraschend: Der erste Weltkrieg zog die europäischen Grenzen neu; Imperien zerbrachen, neue Nationalstaaten entstanden. Heute werden diese Grenzen durchlässiger, unwichtiger – und dennoch: Es ist nicht einfach, die nationale Brille abzulegen. Das zeigt auch die Simulation der Pariser Friedenskonferenz: „Manchen Kollegen fiel es nicht leicht, in die Rolle eines anderen Landes zu schlüpfen, etwa, wenn ihre Familie selbst von Gebietsannektierungen betroffen war" (Inga). Vor der schier unüberblickbaren Menge an nationalen Narrativen und Befindlichkeiten rückt die Idee eines – in diesem Supergedenkjahr allseits geforderten – europäischen Gedenkens in die Ferne, aber was diese Tage in Berlin stattfindet, ist nicht minder wichtig: Es ist ein Dialog im Gedenken, vielleicht auch ein Gedenken im Dialog.

Europa, frei gedacht

Der HistoryCampus mag das Bewusstsein für die eigene kollektive Identität schärfen, er beschwört aber beileibe keine Nationalismen herauf. Im Gegenteil, oft führt er vor Augen, dass es den Menschen auf allen Seiten des Stacheldrahtes erstaunlich ähnlich ging. Das wird auch deutlich in dem Workshop, an dem Robert, 21-jähriger JAKie aus Niedersachsen, teilnimmt: Hier geht es nicht um Bajonette, Kanonen und Granaten, sondern um eine Waffe der anderen Art, die eng mit dem ersten Weltkrieg verbunden ist: das Medium Film. Die Teilnehmer schauen und analysieren gemeinsam europäische Propagandafilme aus dem ersten Weltkrieg. „Heute wirken diese Filme sehr komisch auf uns. Sie sollten die Bevölkerung für den Krieg gewinnen, die Moral an der „Heimatfront" aufrechterhalten und die Menschen zum Kauf von Kriegsanleihen bewegen. Die Menschen waren damals stark versucht, das zu glauben, was ihnen gezeigt wurde."

Der HistoryCampus dagegen lädt unentwegt dazu ein, kritisch zu denken, er versteht sich als eine Veranstaltung des freien Geistes, des Dissenses, der Kontroverse – aber stets im Dialog. Wachsamkeit und Kritik sind an der Tagesordnung. Fernab davon, sich als die formelhaften „jungen Europäer" feiern zu lassen und in den Chor des Medienhypes „Erster Weltkrieg" einzustimmen, suchen die in Berlin versammelten jungen Menschen die fundierte Auseinandersetzung: mit dem ersten Weltkrieg ebenso wie mit alldem, was er uns hinterlassen hat. Und so mögen die Begegnungen mit der Bundeskanzlerin und dem Außenminister einigen Eindruck gemacht haben, die wahre Bereicherung aber erwuchs aus all den kleinen und großen Gesprächen unter den Teilnehmenden, am Frühstücksbüffet wie im Museum, im Theater oder im Workshop. Es ist zu hoffen, dass der Dialog weitergeht.

 

 

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