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25 Jahre Friedhof Rossoschka: kleine Delegation bei Wolgograd

Einweihung 1999 mit rund 1.000 Angehörigen, stilles Gedenken am Jahrestag

Was für ein Gegensatz: Als die deutsche Kriegsgräberstätte Rossoschka am 15. Mai 1999 eingeweiht wurde, waren an die tausend Besucherinnen und Besucher aus Deutschland in die Nähe von Wolgograd (früher Stalingrad) gereist, um dabei zu sein. 25 Jahre später ist das angesichts des Krieges in der Ukraine und der Spannungen mit Russland völlig undenkbar. So war es nur eine kleine Delegation, mit der Hermann Krause, der Leiter des Moskauer Büros, nach Rossoschka reiste. Hier sein Bericht:
 

Dunkelblau wölbte sich der Himmel über der Steppenlandschaft. Keine Sonne, aber auch kein Regen, sondern ein milder Wind, der das würdevolle Gedenken auf der deutschen Kriegsgräberstätte nicht störte. Neben dem evangelischen Pfarrer Fridtjof Amling aus Moskau hatten sich von der Deutschen Botschaft der Heeresattaché, Oberstleutnant i.G. Alexander Jakoby, und Christian Widmaier, der Leiter des Finanzreferats, auf den Weg gemacht – Widmaier aus besonderen, ganz persönlichen Gründen.

Sein Großvater ist in der Schlacht um Stalingrad gefallen. Der Name Ernst Widmaier ist auf einem der großen Steinquader verzeichnet, was bedeutet: Er ist beim Kampf um die Stadt gestorben. Für den Enkel ein sehr bewegender Moment. „Seinen Namen hier zu lesen, bedeutet, ihm nahe zu sein, an ihn zu denken, sich seiner zu erinnern. Und mein Vater weiß jetzt: Hier liegt sein Vater.“
 

Matthias Gurski blickt zurück

Die Geschichte dieses Friedhofs ist eng mit Matthias Gurski verbunden. Sie beginnt mit Abschluss des Kriegsgräberabkommens zwischen Deutschland und der Russischen Föderation 1992. Im selben Jahr schickte der Volksbund den Umbetter nach Wolgograd, um dort gefallene Soldaten zu exhumieren.

„Keiner wusste, wie wir vorgehen sollen, was möglich sein würde. Die russische Seite war damit einverstanden, dass ein Mahnmal aufgestellt wird. Als sie dann aber begriffen hat, dass wir einen Friedhof anlegen wollten, war man davon gar nicht begeistert.“ Nur mit viel Diplomatie und Überredungskunst gelang es Matthias Gurski, die Zustimmung dafür zu bekommen.
 

Bauarbeiten begannen 1996

1994 wurde die Genehmigung erteilt, in der Nähe des Dorfes Rossoschka einen Friedhof anzulegen – 37 Kilometer vom Zentrum Wolgograds entfernt. Die Vorteile: Es gab dort bereits einen alten Wehrmachtsfriedhof und es existierte eine asphaltierte Straße dorthin. 1996 begannen die Bauarbeiten.

„Der russischen Seite fiel auf, dass der gegenüberliegende sowjetische Soldatenfriedhof in einem sehr schlechten Zustand war“, erinnert sich Gurski. Der Volksbund beschloss, ein Zeichen zu setzen, und beauftragte ein örtliches Bauunternehmen damit, diesen Friedhof zu renovieren. „Damit hatten wir klar gemacht, dass wir auch die sowjetischen Soldaten ehren“, erinnert sich der Umbetter.
 

Kranz am sowjetischen Mahnmal

Genau dort legte die deutsche Delegation am Mittwoch zuerst einen Kranz nieder. In den vergangenen Jahren war der Friedhof für sowjetische Soldaten ständig ausgebaut worden, so dass er jetzt ein sehr bewegendes Bild mit den vielen Helmen auf den Grabsteinen abgibt.

Auf der anderen Straßenseite, auf der deutschen Kriegsgräberstätte, sind mittlerweile mehr als 70.000 deutsche Soldaten in einem riesigen kreisrunden Areal bestattet – das ist der eigentliche Friedhof. Eine Zahl, die immer wieder erschüttert.

Pastor Fridfjof Amling ging in seiner Predigt unter dem Hochkreuz darauf ein: „Der Volksbund stellt sich seit vielen Jahrzehnten in den Dienst des Friedens. Hier, an diesem Ort, ist das besonders spürbar. Er hat dafür gesorgt, dass Zehntausende von Angehörigen benachrichtigt wurden, hierher reisten, um dann Abschied nehmen zu können.“

„Der Volksbund stellt sich seit vielen Jahrzehnten in den Dienst des Friedens. Hier, an diesem Ort, ist das besonders spürbar.“

Fridtjof Amling, evangelischer Pfarrer aus Moskau, in Rossoschka

Freundschaften geschlossen

Tatsächlich hatte der Volksbund zusammen mit Reiseunternehmen immer wieder Fahrten und Flüge nach Wolgograd organisiert. So kamen seit der Einweihung der Anlage vor 25 Jahren unzählige Angehörige nach Rossoschka. Sie trafen sich auch mit russischen Veteranen. Tränen flossen, man lag sich in den Armen, Freundschaften wurden geschlossen. Das Motto „Versöhnung über den Gräbern“ wurde in Rossoschka Wirklichkeit.

Pfarrer Amling sagte dazu: „Der Volksbund schafft Möglichkeiten der Begegnung und des Austausches über die Grenzen und Generationen hinweg. Diese Arbeit verdient hohe Anerkennung“.

Pendelbusse aus dem Stadtzentrum

Viktor Muchin, langjähriger Volksbund-Referent in Moskau, erinnert sich genau an den Tag der Einweihung: „Im Gegensatz zu heute war es damals schrecklich heiß. An die tausend Angehörige wollten auf den Friedhof. Die Administration von Wolgograd aber genehmigte das nicht. Nur je 200 Personen durften nacheinander mit Pendelbussen aus dem Stadtzentrum nach Rossoschka fahren. Das war nicht einfach und für die Angereisten mühsam. Sie hatten seit Jahren auf diesen Augenblick gewartet. Sie wollten wissen, wo der Vater, Bruder oder Onkel liegt, wie die letzte Ruhestätte aussieht. " Aber es ging nicht anders.

Der Hintergrund damals:  Im Kosovo-Krieg wurde die serbische Hauptstadt bombardiert – vorwiegend von US-Flugzeugen. Die deutsche Luftwaffe beteiligte sich lediglich mit Einsätzen zur Luftaufklärung und zur Bekämpfung der Flugabwehr, doch in russischen Medien wurde das als direkte Kriegsbeteiligung gewertet. Viktor Muchin: „Wir wurden wüst beschimpft. Aber einige mutige Abgeordnete haben sich dazwischen gestellt und gefragt: ‚Was können denn die gefallenen Soldaten dafür? Ihre Angehörigen wollen doch nur Blumen niederlegen. Lasst sie durchfahren!’“
 

Schwieriges Terrain

Wolgograd – die Stadt- und die Gebietsadministration – galt und gilt bei den Mitarbeitern des Volksbundes vor Ort als „schwierig“. Kein Wunder angesichts der völligen Zerstörung der Stadt durch die Wehrmacht und angesichts der schrecklichen Verluste. Mehr als 700.000 Zivilisten und sowjetische Soldaten kamen bei den grauenhaften Kämpfen 1942/43 ums Leben. Zahlen und Schicksale, die sich in das Gedächtnis der Wolgograder eingebrannt haben.

An diesem Tag, 25 Jahre nach der Einweihung, wurde klar, wie es um die deutsch-russischen Beziehungen steht: Um politische Querelen zu vermeiden, waren keine offiziellen Vertreter der russischen Seite eingeladen – es wären auch kein Amtsträger gekommen. So blieben die Deutschen mit den russischen Volksbund-Mitarbeitern während der stillen Gedenkstunde unter sich.

Mehr als 3.000 Soldaten eingebettet

Seit der Einweihung ist die Zahl der beigesetzten deutschen Soldaten auf dem Friedhof kontinuierlich gestiegen. Noch im November 2023 wurden im Beisein einer deutschen und russischen Schülergruppe 3.222 Soldaten auf dem Friedhof beigesetzt (zum Bericht). Noch immer finden Volksbund-Umbetter in der Region viele Tote – bei geplanten Einsätzen, aber auch bei Notausbettungen (mehr dazu). Seit der Einbettung sind rund 2.000 weitere dazugekommen, die bei nächster Gelegenheit auf der Kriegsgräberstätte Rossoschka ein würdiges Grab finden. 

Pfarrer Amling erinnerte am Ende seiner Andacht vor dem Hochkreuz an eine Vision des Propheten Jesaja, die im Angesicht von Krieg und Konflikten zu einer tiefen Sehnsucht der Menschheit geworden ist: „Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen und ihre Spieße zu Sicheln machen. Denn es wird kein Volk gegen das andere das Schwert erheben und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Leider hat sich die Menschheit zur Zeit wieder einmal weit von dieser Vision entfernt.

Text: Hermann Krause
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