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Olympische Spiele und dann in den Krieg: Luz Long und seine Geschichte

Freundschaft zu Jesse Owens trägt heute noch Früchte – neue Dokumentation

Rund 150 Namen umfasst eine Liste deutscher Olympioniken beim Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., die gerade jetzt eine besondere Wucht entfaltet: Sie alle haben – wie die Sportlerinnen und Sportler dieser Tage – Höchstleistungen erbracht, doch die Weltkriege haben Karrieren und Träumen ein brutales Ende gesetzt. Das gilt auch für Luz Long.

 

Von A wie Adamski bis W wie Wörndle reicht die Aufstellung der deutschen Teilnehmer an Olympischen Spielen – viele andere Nationen dürften ähnliche Listen führen. Herbert Adamski holte 1936 Gold im Rudern – im Zweier mit Steuermann. 1941 starb er im Alter von 31 Jahren als Soldat an der Ostfront.
 

Hingerichtet, in Auschwitz ermordet

Roman Wörndle war einer der besten Skiläufer in den 1930er Jahren und bei den olympischen Spielen 1936 in Garmisch-Partenkirchen am Start. Auch er bezahlte den Einsatz in Uniform an der Ostfront mit dem Leben – mit 28 Jahren. Viele starben als Soldaten, einige wurden hingerichtet, andere in Konzentrationslagern wie Auschwitz ermordet.

Ein Name ist heute noch präsenter als viele andere: Luz Long, denn der Weltklasse-Weitspringer zeigte 1936 nicht nur sportliche Höchstleistung, sondern auch Menschlichkeit, Mut und Respekt – Jesse Owens gegenüber. Bestattet ist er in Motta St. Anastasia, auf der einzigen deutschen Kriegsgräberstätte auf Sizilien.
 

Finale im Weitsprung

Es ist der 4. August 1936. Luz Long, der nicht als Favorit gesetzt war, unterliegt Jesse Owens im Finale und umarmt ihn nach dem entscheidenden Sprung spontan. „Nach dem Vorkampf schon hatte Hitlers Hoffotograf Heinrich Hoffmann sie fotografiert“, berichtet die Schwiegertochter, Ragna Long.

„Dieses Foto gibt die große Bewunderung der beiden füreinander wieder und geht seitdem um die Welt.“ Nach der Siegerehrung verlassen sie Arm in Arm das Stadion, gefilmt von Leni Riefenstahl für eine Dokumentation der Olympischen Spiele im Auftrag Hitlers.
 

Ein Tipp für den Konkurrenten

„Manchmal tut man nur einfach das, was einem das Herz befiehlt“, habe Luz Long später in Interviews dazu gesagt. Während des Wettkampfs habe er Owens sogar einen Tipp mit Blick auf den Anlauf gegeben. „Das ist bewiesen“, sagt Ragna Long. Wochen später habe ihn Rudolf Heß, der Stellvertreter Hitlers, angerufen und gemaßregelt: Er solle nie wieder „einen Neger“ umarmen.

„Sie haben sich gut verstanden und sind an diesem Tag Freunde geworden“, sagt die Schwiegertochter. Ihr verstorbener Mann Kai hat die Biographie seines Vaters geschrieben: „Luz Long, eine Sportlerkarriere im Dritten Reich“.
 

Geste der Wertschätzung

Daraus geht hervor, dass es wohl keine politisch motivierte Geste unter den Augen Hitlers war, keine Provokation, kein Zeichen gegen Rassendiskriminierung, als Luz Long den Schwarzen Jesse Owens umarmte, sondern eine Geste der Wertschätzung, Fairplay und Menschlichkeit.

Sie traten nie mehr gegeneinander an. Long blieb fast zwei Jahre lang bei allen Wettbewerben ungeschlagen und stellte mit 7,90 Metern einen neuen Europarekord auf, der bis 1956 Bestand hatte.
 

„Ausharren, solange man mich braucht“

Privater Kontakt zu Jesse Owens ist nicht überliefert und auch den „last letter“ – einen „letzten Brief“ aus Sizilien in die USA – habe es nie gegeben, so Ragna Long. „Wie jeder deutsche Soldat im Kriegseinsatz musste auch Luz einen Eid auf Hitler leisten. Ein solcher Brief hätte als Hochverrat gegolten. Außerdem wurden alle Briefe seit Kriegsanfang zensiert.“

Eigentlich habe Long 1938 mit dem Sport aufhören wollen, aber man habe ihn gebeten, weiterzumachen, erzählte er in einem Interview und sagte: „Ich bin entschlossen, auf dem ehrenvollen Posten, den mir das Geschick zugewiesen hat, auszuharren, solange man mich braucht.“
 

Promovierter Jurist

„Es war üblich, dass während des Krieges die Soldaten an Wettkämpfen der Wehrmacht teilnahmen, um die Bevölkerung zu unterhalten“, so Ragna Long. „Außerdem gehörte Luz zur Kernmannschaft für Olympia 1940 in Japan.“

Long studierte Jura, trat 1937 dem NS-Studentenbund bei, 1938 der SA und bestand 1938 sein erstes Examen. 1939 promovierte er und wurde NSDAP-Mitglied. „Das war seiner Arbeit als Gerichtsreferendar geschuldet, er wurde in der Partei als ‚Beamter auf Widerruf‘ geführt“, erklärt die Schwiegertochter.

Gehorsam als äußerte Pflicht

Nach dem zweiten Staatsexamen wurde Long auf eigenen Wunsch im April 1941 aus dem Justizdienst entlassen und im selben Jahr eingezogen. Mit Gehorsam als äußerster Pflicht sei der 1913 Geborene groß geworden. „Er wollte sein Vaterland verteidigen – gegen alle guten Ratschläge der Familie“, sagt Ragna Long.

Luz und sein Bruder Sebastian zogen 1939 beim Polen-Feldzug in den Krieg. Der dritte Bruder, Heinrich, fiel 1940 in Belgien. Luz wurde Sportausbilder der Wehrmacht und Anfang Mai 1943 mit der Division „Hermann Göring“ nach Sizilien abkommandiert.

Sebastian kämpfte zur selben Zeit in Russland. Luz habe die Möglichkeit gehabt, den Kampfeinsatz zu vermeiden. „Doch er fühlte sich verpflichtet mitzugehen, da alle seine Kameraden an die Front mussten“, gibt der Sohn Worte seiner Mutter wieder.
 

Musste den Freund zurücklassen

Am 14. Juli 1943, beim Rückzug der Panzerdivision, traf ein Artilleriegeschoss den Obergefreiten. Sein Kamerad Robert Stadler berichtete später, dass er die Wunde noch abgebunden habe, den Freund aber nicht habe tragen können. Er musste ihn zurücklassen. Long verblutete vermutlich noch am selben Ort.

Die „Verlustmeldung“ erhielt seine Frau Gisela am 30. Juli 1943. Sieben Jahre wurde er vermisst – bis die Nachricht vom Roten Kreuz kam, dass das Grab gefunden sei: auf dem deutschen Ehrenteil des amerikanischen Militärfriedhofs Gela. 1961 bettete der Volksbund die sterblichen Überreste nach Motta St. Anastasia um. Die Anlage dort wurde 1965 eingeweiht und 2010/11 umfassend saniert.

Familien lernen sich kennen

Jesse Owens suchte nach dem Krieg den Kontakt zur Familie Long, traf sich 1951 mit Luz‘ Mutter und dem damals zehnjährigen Sohn Kai und 1964 noch einmal mit Kai im Stadion in Berlin. 1980 starb er.

Kai Long vertrat ab 1951 die Interessen seines Vaters. Unter anderem schrieb er dessen Biographie, war – auf Bitten von Owens – 1964 in dem Film „Jesse Owens returns to Berlin“ zu sehen und wurde zu Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften eingeladen.
 

Auszeichnung für Umgang mit dem Erbe

Für die Pflege des Erbes von Luz Long verlieh IOC-Präsident Thomas Bach der Familie den Award „IOC Präsident Trophy 2021“ – verbunden mit höchster Anerkennung für die sportlichen Leistungen des Leichtathleten sowie für Menschlichkeit, Mut und Respekt Jesse Owens gegenüber.

Wie sehr das nicht nur die Sportwelt auch Jahrzehnte später zu schätzen weiß, zeigen diese Beispiele: Bei der Einweihungsfeier des umgebauten Berliner Olympiastadions am 31. Juli 2004 entzündeten die Enkelinnen der beiden Leichtathleten-Legenden, Gina Hemphill-Owens und Julia Long, gemeinsam die Flamme des „Olympischen Feuers“. Bei der Leichtathletik-WM in Berlin 2003 überreichten sie zusammen Medaillen.
 

Enkel sprechen in neuer Dokumentation

Owens Enkel Stuart Rankin und Julia Long (inzwischen Kellner-Long) standen erst kürzlich gemeinsam vor der Kamera und sprachen über ihre Großväter. „4. August – Eine olympische Odyssee“ heißt die 60-minütige Dokumentation von Warner Bros., die am 3. Juli Premiere hatte. Und: Longs Enkelin hat ein weiteres Buch geschrieben – „Die Luz Long Story“ – das gerade erscheint. Auch nach Paris ist die Familie wieder eingeladen.

Davon wird am 8. September 2024 die Rede sein, wenn „Deutschlandfunk Kultur“ ein Interview mit Schwiegertochter Ragna Long und Enkelin Julia Kellner-Long ausstrahlt (ab 17.30 Uhr).
 

Biographie beim Comic-Wettbewerb

Luz Long und seine Geschichte waren auch Thema beim Comic-Wettbewerb, den der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge mit ausschreibt. „Sport – zwischen Krieg und Frieden“ hieß das Thema. Vier Mädchen von der Neuen Nikolaischule in Leipzig hatten im Mai 2024 mit ihrem Beitrag den dritten Preis in der Gruppen-Kategorie gewonnen: Comic-Wettbewerb: Olympia 1936, Rassismus und Flucht.
 

Volksbund pflegt ihre Gräber

Als gemeinnütziger Verein sucht der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge noch heute im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland, birgt und bestattet sie und pflegt ihre Gräber auf Kriegsgräberstätten in 46 Ländern – auch die der ehemaligen Olympioniken zum Beispiel im niederländischen Ysselsteyn, in Costermano in Italien, in Sewastopol auf der Krim und in Przemyśl in Polen.

Und noch immer sind ehemalige Olympia-Teilnehmer vermisst: Heinz Krövers etwa, der als Handballer 1936 Gold holte, starb in der Nähe von Stalingrad (heute Wolgograd). Sein Name ist auf dem Soldatenfriedhof Rossoschka in einen der Namenwürfel eingraviert. In dieser Region bergen die Umbetter des Kriegsgräberdienstes nach wie vor Hunderte Tote jährlich.
 

Gräbersuche online

Die Gräbersuche Online umfasst inzwischen fast 5,4 Millionen Datensätze. Wer noch einen Angehörigen vermisst, kann dort recherchieren und gegebenenfalls einen Suchantrag stellen. Der Volksbund ist bei seinem Engagement, das auch Jugend- und Bildungsarbeit umfasst, dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen. Aktuell bittet er um Spenden für das Projekt „Notausbettung Osteuropa”.

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