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Der Wille zum Frieden

Gedenken: 70 Jahre Angriff auf die Sowjetunion

„Vielleicht gibt es ja auch in Russland jemanden, der das Grab meines Bruders pflegt.“ Diesen Gedanken trägt Berta Schellenberg (81) schon lange in sich. Ausgangspunkt war vor nunmehr 70 Jahren der Angriff der Wehrmacht gegen die damalige Sowjetunion, in dessen Verlauf auch ihr Bruder Fritz Landefeld als junger Soldat ums Leben kam. So pflegte Berta Schellenberg die Gräber der sowjetischen Kriegsgefangenen, die wiederum im Lager ihrer Heimatgemeinde Herleshausen gestorben waren. Und heute veranstaltet der Volksbund hier eine internationale Gedenkstunde.

Gemeinsames Anliegen

Als Redner treten dabei Volksbund-Vizepräsident Prof. Volker Hannemann und der bekannte Schriftsteller Arno Surminski auf, der später noch eine weitere Lesung in der Kasseler Markuskirche hält. Viele seiner Bücher beschreiben exakt jene Vorkriegs- und Kriegszeit im ostpreußischem Grenzgebiet zu Russland. Und auch Surminskis Eltern wurden damals verschleppt und später in zunächst unbekannten Gräbern in der Sowjetunion bestattet. Prof. Hannemann, Arno Surminski und Berta Schellenberg eint dabei ein gemeinsames Anliegen: den Frieden und das Verständnis zwischen den Generationen zu fördern sowie überkommene Gegensätze zwischen Deutschen und den Menschen der ehemaligen Sowjetunion zu überwinden.

„Papa hier?“

Das dies heute viel leichter möglich scheint, ist auch dem Engagement der Anwohner des Kriegsgefangenenlagers Herleshausen und dem Volksbund zu verdanken. Denn als der Friedhof des Quarantäne- und Seuchenlagers zwischen 1942 und 1945 entstand, war es der damalige Bürgermeister Karl Fehr, der entgegen der offiziellen Anweisung die Namen und Lebensdaten der verstorbenen Kriegsgefangenen für die Nachwelt festhielt. Wenige Jahre später benachrichtigte der Volksbund auf der Basis dieser waghalsigen Arbeit zahlreiche Angehörige, der hier Bestatteten. Auch heute noch erhält Herleshausens Bürgermeister Helmut Schmidt Dankesbriefe aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion. Erst vergangenes Jahr kam eine Besucherin, die mit der Frage, „Papa hier?“, diesen so bemerkenswerten Ort besuchte. Und die Antwort lautete: „Ja. Hier ist das Grab ihres Vaters!“

15 deutsche, 15 sowjetische Opfer

Doch diese zutiefst menschlichen Gesten sind gerade wegen ihrer Seltenheit so bemerkenswert. Daher erinnerten die an der Gestaltung der Gedenkstunde aktiv mitwirkenden Kinder der Südringgauschule Herleshausen abwechselnd an 15 deutsche und 15 sowjetische Tote – stellvertretend für alle Opfer des Zweiten Weltkrieges. Unter den verlesenen Namen ist auch der von Fritz Landefeld, der als Soldat im Zuge des Russland-Feldzuges mit gerade mal 20 Jahren aus dem Leben schied. Als sein Name vor den etwa 150 Gästen verlesen wird, unter denen auch Vertreter der russischen, weißrussischen und ukrainischen Nationen sind, laufen Tränen über das Gesicht der 81-jährigen Berta Schellenberg. Doch sie ist nicht alleine. An ihrer Seite gibt die Familie großen moralischen Halt. Am Ende der Veranstaltung legen auch ihre Enkelsöhne Marlon (8) und Maurice (12) rote Blumen auf den sowjetischen Gräbern nieder. Der Wille zum Frieden und das Gedenken an die tragischen Ereignisse des Zweiten Weltkrieges leben auch 70 Jahre nach dem Angriff auf die Sowjetunion fort. Das Engagement der Menschen in Herleshausen und anderswo beweist es.

Maurice Bonkat