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Die Verantwortung zum Handeln

Berlin: Zentrale Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag 2011

Als Wladislaw Schelestow zum Spaten griff, um neue Fundamente für seinen Anbau auszuheben, machte er einen denkwürdigen Fund. Dies brachte ihn vom Fuße des berühmten Mamajewhügel in Wolgograd, dem ehemaligen Stalingrad, direkt bis nach Berlin. Dort war er einer der Ehrengäste des Volkstrauertages im Deutschen Bundestag. Denn der 35-jährige Russe war auf die Überreste eines Wehrmachtssoldaten gestoßen – und hatte diesen schließlich samt Erkennungsmarke sorgfältig geborgen. Kurz vor der zentralen Gedenkveranstaltung des Volksbundes traf er dann einen Angehörigen.

Achtung vor den Toten

Davon berichtete Volksbundpräsident Reinhard Führer in seiner Begrüßungsansprache zur zentralen Volkstrauertags-Veranstaltung im Deutschen Bundestag. Im festlich geschmückten Plenarsaal hörten dies neben zahlreichen Angehörigen und Volksbundmitgliedern auch der Bundespräsident Christian Wulff samt Gattin Bettina, Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, Bundesratspräsident Horst Seehofer, Bundesverfassungsgerichts-Präsident Andreas Voßkuhle, der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier, der Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Ralf Wieland, Bischof Markus Dröge, Weihbischof Matthias Heinrich, Archimandrit Immanuil Sfiatkos, Mustafa Hadžić vom Zentralrat der Muslime in Deutschland, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Berlins, Lala Süsskind, Generalinspekteur Volker Wieker – und eben Wladislaw Schelestow. „Für ihn, der in diesem Toten auch ein Opfer des Krieges sah, und aus der Achtung vor jedem Toten gab es nur eine Entscheidung: Die Übergabe an den in Wolgograd bekannten Volksbund. Wir haben anhand der Erkennungsmarke den Gefallenen mit Hilfe der Deutschen Dienststelle (WASt) identifizieren können: Es ist Andreas Dicker, geboren am 4. August 1910 in Oberösterreich, gefallen am 29. September 1942 in Stalingrad. Herr Schelestow ist heute mit seiner Frau unter uns. Neben ihnen sitzt André Kirchhammer, der dankbare Enkelsohn des von ihnen gefundenen Toten. Weitere Worte hierzu sind glaube ich nicht nötig“, sagte Volksbundpräsident Reinhard Führer.

Wichtiges Symbol

Tatsächlich kamen sich die beiden Ehepaare Schelestow und Kirchhammer auch ohne eine gemeinsame Sprache schnell näher. So erfuhr der 47-jährige Enkel des Gefallenen, den der Krieg von Österreich nach Stalingrad führte, dass Schelestows Großvater im Krieg exakt den umgekehrten Weg gegangen war: „Mein Großvater war tatsächlich als Soldat in Österreich“, sagte der Wolgograder. Seine Geschichte von der sorgfältigen Ausbettung bis hin zum Treffen mit den Angehörigen war für viele Teilnehmer des Volkstrauertages ein wichtiges Symbol. Sie zeigte, wie wichtig für die Menschen die Klärung der Schicksale ihrer im Krieg gestorbenen oder vermissten Familienmitglieder bis heute ist.

Gleiches gilt für den bekannten Entertainer Gunther Emmerlich. In seiner eindrucksvollen Lesung wurde den Zuhörern verdeutlicht, welche weitreichenden Folgen der Verlust oder die Ungewissheit über das Schicksal eines nahen Verwandten hat. Denn bis heute sucht Gunther Emmerlich – wie viele andere Angehörige auch – nach dem Grab seines Vaters, nach seinem persönlichen Ort der Trauer und des Gedenkens.

Frieden und Freiheit

Dies unterstrich auch Frank-Walter Steinmeier in seiner Gedenkrede. Dabei betonte er mit dem Begriff des tätigen Gedenkens, dass es wichtig sei, das Gedenken an alle Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft bis in unsere Tage auch mit einer Verantwortung zum Handeln zu verknüpfen. Dies zeige sich auch in den Workcamps des Volksbundes. Diese seien geeignet, den jugendlichen Teilnehmern wichtige Denkanstöße zu bieten und sie nachhaltig zu verändern. Mit Bezug auf die bekannte Aussage von Jean-Claude Juncker zitierte er sinngemäß: „Wer einmal solche Kriegsgräber gesehen hat und einige Stunden gedankenversunken über eine solche Kriegsgräberstätte gegangen ist, wird wissen, wie wichtig Frieden und Freiheit für uns alle sind.“

Ein Foto und ein Feuerzeug

Auch André Kirchhammer begann nun darüber nachzudenken, möglichst bald das Grab seines Großvaters auf der deutschen Kriegsgräberstätte Rossoschka bei Wolgograd zu besuchen. Bisher hatte er weder persönliche Gegenstände noch ein Foto von Andreas Dicker besessen. Beides sollte sich am Volkstrauertag 2011 ändern. Für das Foto sorgte Maria Rothenbuchner vom Gemeindeamt in Hochburg-Ach. Dies ist der Geburtsort des Soldaten Dicker – und übrigens auch des Schöpfers des Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige Nacht“, Franz Xaver Gruber. Dort gab es auf der Gedenktafel einer kleinen Kirche schon lange Zeit auch ein Bildnis des Verstorbenen. Davon wusste die Familie nichts – und nun hielt André Kirchhammer das vergrößerte Foto in seinen Händen. All dies machte ihn fast sprachlos. Und dann bereitete ihm Wladislaw Schelestow eine zusätzliche Überraschung. Während des Besuches am Denkmal für die sowjetischen Gefallenen überreichte er ein weiteres Fundstück vom Mamajewhügel: Es war das alte Feuerzeug seines Großvaters. Und auch hier waren weitere Worte nicht nötig.

Weiter Fotos rund um den Volkstrauertag 2011 in Berlin finden Sie hier.

Maurice Bonkat