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Diese Trauer ist privat

Ansprechstelle der Bundeswehr für Hinterbliebene

Der Bundesverteidigungsminister Peter Struck prägte im Jahr 2002 das umstrittene Wort, die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland werde auch am Hindukusch verteidigt. Im Jahr 2002 starben dort die ersten deutschen Soldaten.

Über 50 Soldaten der Bundeswehr haben bis heute in Afghanistan das Leben verloren. Während in der Politik immer wieder erneut das Für und Wider des Einsatzes und seine verschiedenen Aspekte von der Bewaffnung und Ausrüstung der Soldaten bis hin zu möglichen „Ausstiegsszenarien“ diskutiert werden, steigt die Zahl der Familien, die sich mit dem jähen Tod eines lieben Menschen auseinandersetzen müssen.

All diejenigen, die sich politisch und amtlich lange scheuten, einen Krieg auch „Krieg“ und seine bei militärischen Handlungen gestorbenen Soldaten auch „Gefallene“ zu nennen, holte die Realität der Todesfälle, der Verwundungen und der psychischen Erkrankungen unsanft ein. Inzwischen führt nichts mehr an der Erkenntnis vorbei: Ja – Deutschland führt wieder Krieg. Ja – deutsche Soldaten fallen wieder. Ja – Angehörige bangen, leiden und trauern wieder. Seitdem wächst auch der Bedarf nach Unterstützung der Hinterbliebenen.

Und so musste eine schiere Selbstverständlichkeit erneut bekräftigt werden – die Tatsache, dass Staat und Gesellschaft in besonderer Weise Verantwortung für die Menschen zu übernehmen haben, die in ihrem Auftrag dienen und dabei Schaden erleiden, bis hin zu ihrem Tod.

Es ist inzwischen eine Menge geschehen, auch im Bewusstsein derer, die selbst an vorderer Front stehen. Die Post traumatische Belastungsstörung wird auch von „harten Männern“ (und Frauen) nicht mehr als ehrenrührig, auch am Stammtisch nicht mehr als „Scheinkrankheit ängstlicher Drückeberger“ abgetan. Die Bundeswehr hat sich darauf eingestellt, dass ihre Soldatinnen und Soldaten im Einsatz verwundet werden und sterben können. Eine der Maßnahmen war die Einrichtung der Ansprechstelle für Hinterbliebene. Man findet sie in der Julius- Leber-Kaserne in Berlin. Ihre Leiterin Birgitt Heidinger gibt in unserem Interview Auskunft über ihre Arbeit.

Frau Birgitt Heidinger, seit wann gibt es die Ansprechstelle der Bundeswehr und wie groß ist sie?

Die Ansprechstelle wurde vor etwa einem Jahr, am 14. Juli 2010, eingerichtet. Dies ist neben vielem Anderen ein sichtbares Zeichen dafür, dass das Verteidigungsministerium seine Verantwortung für die Fürsorge und Betreuung von Hinterbliebenen gefallener und verstorbener Bundeswehrangehöriger ernstnimmt. Wir sind ein kleines Team, eigentlich nur zwei Personen in einem sechsköpfigen Stab. Das reicht derzeit – ich möchte sagen, glücklicherweise – aus. Ich bin ja gleichzeitig Beauftragte für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf/Dienst in der Bundeswehr.

Wie können wir uns die Arbeit der Ansprechstelle vorstellen? Und mit wem haben Sie dabei Kontakt?

Wir sind in erster Linie für die Hinterbliebenen selbst da und ergänzen die Arbeit der anderen Einrichtungen der Bundeswehr, die sich um soziale Angelegenheiten kümmern. Wir werden erst dann tätig, wenn viele Fragen schon geklärt sind. Die Ansprechstelle ersetzt nicht das Beerdigungsinstitut und nicht den Sozialdienst der Bundeswehr, sie kümmert sich weder um Fragen der Bestattung noch um die Klärung von Rentenansprüchen.

Sind Sie also ei ne Art Trauerbegleiter?

Ja, im Grunde ja. Dabei drängen wir uns niemals auf. Wir bieten einfach nur unsere Unterstützung an, ganz behutsam. Wenn wir erfahren, dass ein Soldat oder eine Soldatin im Dienst das Leben verloren hat, nehmen wir zu nächst Kontakt mit der Dienststelle, beispielsweise dem Bataillonskommandeur, auf. Wir bieten unsere Unterstützung an. Erst sechs Wochen später wenden wir uns direkt an die Hinterbliebenen. Zu diesem Zeitpunkt sind die praktischen Fragen, die unmittelbar mit dem Tod des Angehörigen zusammenhängen, meist geregelt – und dann brechen auf manche Menschen Schmerz und Trauer mit erhöhter Wucht herein.

Betrifft das nur die Familien der Gefallenen oder auch andere?

In erster Linie diese, aber wir kümmern uns auch um die Familien von Menschen, die bei Dienstunfällen das Leben verloren haben oder die sich das Leben selbst genommen haben.

Und das alles mit lediglich zwei Mitarbeitern?

Wir stehen ja nicht allein. In den Einheiten und Dienststellen wird viel getan, manch mal bis zur Grenze der Belastbarkeit. Der Sozialdienst der Bundeswehr trägt die Hauptlast der beratenden und fürsorgerischen Arbeit. Der Psychologische Dienst der Bundeswehr unterstützt und begleitet auch sehr kurzfristig. Seit 2003 arbeiten die inzwischen 31 Familienbetreuungszentren – bundesweit. Ich möchte die hervorragende Zusammenarbeit mit der Evangelischen Kirche erwähnen, die unter anderem Rüstzeiten anbietet. Das sind in der Regel mehrtägige, einfühlsam betreute Treffen. Darüber hinaus gibt es die Angebote in den Häusern des Bundeswehr-Sozialwerks. Hinzu kommt die sehr wichtige Arbeit privater Initiativen. Einige haben sich inzwischen im Bund Deutscher Veteranen zusammengeschlossen. Wir kooperieren mit allen, die bei der Lösung der viel fältigen Fragen und Probleme mithelfen können.

Gibt es auch Ablehnung?

Nicht alle Familien reagieren auf unser Angebot. Sie entscheiden selbst, ob und wie sie in Kontakt treten. Manchmal sind Familien nicht erreichbar, es heißt: Unbekannt verzogen. Dann wieder erhalten wir Nachricht von Dritten, etwa der Art: Die Familie X will mit Euch nichts zu tun haben. In solchen Fällen fassen wir nach. Denn die Familien sollen für sich selbst sprechen. Wichtig ist, dass die Soldaten und ihre Angehörigen wissen: Niemand ist zu etwas gezwungen! Wir drängen uns nicht auf. Aber wir stehen an Eurer Seite, wir sind da, wenn Ihr uns braucht.

Der Umgang mit Trauer und Tod geht Ihnen doch sicher sehr nah. Werden Sie selbst denn unterstützt?

Als ich erfuhr, dass ich die Ansprechstelle übernehmen sollte, schossen mir sofort tausend Dinge durch den Kopf. Einer der Gedanken war: Welche Hilfe kann meinen Leuten gegeben werden? Denn es ist ja lange bekannt, dass auch die Helfer Unterstützung benötigen, und gerade die Menschen, die sich besonders einfühlen. Sie beginnen mitzuleiden, und das nicht in einem einzigen Fall, sondern in immer mehr Fällen. Ich bin deshalb dankbar für die Unterstützung, die wir zum Beispiel durch das „Traumazentrum am Bundeswehrkrankenhaus Berlin“ erhalten. Und wenn sich dann, wie es immer wieder vorkommt, die Familien bedanken oder einfach nur eine Karte aus dem Urlaub kommt, dann tut uns das gut.

Die Ansprechstelle ist ja nun eine sehr junge Einrichtung. Kennt man Sie denn? Und wie planen Sie Ihre Öffentlichkeitsarbeit?

Die Betroffenen sollen wissen, dass es uns gibt, das ist unser Ziel. Unsere Arbeit findet dann aber auf persönlicher Ebene, auf der Ebene des Vertrauens, statt. Die Trauer der Familien ist privat. Sie verträgt weder eine besondere mediale Aufmerksamkeit noch eine zu demonstrative Öffentlichkeitsarbeit. Aber unseren Internetauftritt gehen wir an. Denn man soll ja sehen, dass es uns gibt und was wir tun können.

Möchten denn die Angehörigen, dass der Tote und sein Tod öffentlich gewürdigt werden? Und reicht dazu das Ehrenmal der Bundeswehr?

Manche wollen es nicht oder sie äußern sich einfach nicht dazu. Aber unsere Erfahrung sagt auch, dass doch viele eine öffentliche Würdigung des Todes im Einsatz wünschen, ganz allgemein in der Gesellschaft und auch konkret im Ehrenmal der Bundeswehr. Manche stören sich dann aber daran, dass dort die Namen nur nacheinander aufleuchten, man unter Umständen also lange zu warten hat, bis der Name des eigenen Angehörigen, Freun des oder Kameraden auftaucht.

Würden Sie den Gedanken unterstützen, im Ehrenmal ein Buch mit allen Namen auszulegen?

Ich stelle das architektonisch-künstlerische Konzept nicht in Frage. Über die vielen weitergehenden Vorschläge zur Gedenkkultur der Bundeswehr führen wir intensive Diskussionen.

 

Das Gespräch führte Dr. Martin Dodenhoeft