Volksbund Logo Desktop Volksbund Logo Mobil
Gräbersuche Mitglied werden Jetzt spenden Spenden

Engagiert und mit Mission: Frauen gründen Landesverband Hamburg

#volksbundhistory erinnert an die Ursprünge des Volksbundes in der Hansestadt 1920

Am Ende des Ersten Weltkrieges war die deutsche Gesellschaft eine andere als 1914. Während Philipp Scheidemann die Republik ausrief, musste der Kaiser abdanken. In jeder Familie hatte der Krieg zum Verlust geliebter Menschen und zu persönlichem Leid geführt – Ansporn für drei engagierte Frauen, in Hamburg, einen Verein zur Pflege von Kriegsgräbern zu gründen.
 

„Dulce et decorum est, pro patria mori“ („Es ist süß und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben“) – dieser Vers aus einem Gedicht des römischen Dichters Horaz war zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein vielzitierter Aufruf an die deutsche Jugend. Man hörte ihn an den Schulen, in den Hörsälen der Unis und von Kirchenkanzeln herab. Der Tod auf dem Schlachtfeld als höchster Dienst und zum Wohle des Vaterlandes galt als ruhmreich und ehrenvoll. 
 

Unter dem Hashtag #volksbundhistory berichten wir von historischen Ereignissen und liefern Hintergrundinformationen. Unser Autor heute: Dr. Christian Lübcke. Der Militärhistoriker ist Geschäftsführer des Landesverbandes Hamburg.

„Urkatastrophe“ des Jahrhunderts

Bereits im Kindesalter wurden der deutschen Jugend diese Phrasen eingeimpft, in einem Staat, in dem Militär und Uniformen prägend für die gesamte Gesellschaft waren. Geschichten von längst vergangenen Schlachten und Kriegen förderten Fantasie und Sehnsucht nach Abenteuern und Bewährung auf „dem Felde der Ehre“.

Vorstellungen von der wahren Realität des Krieges gab es dagegen kaum noch. Wie auch? Der letzte große Krieg von 1870/71 lag im Sommer 1914 bereits mehrere Jahrzehnte zurück und wurde von den älteren Generationen im Rückblick oft verherrlicht und verklärt. 
 

Mehr als 17 Millionen Kriegstote

Die wahren Ausmaße eines „modernen“ Krieges lagen am Vorabend des Ersten Weltkrieges für die Masse der europäischen Bevölkerung jenseits jeder Vorstellungskraft. Dieser Krieg, von vielen Historikern als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, führte zum Tod von mehr als 17 Millionen Soldaten und Zivilisten. Vor allem in Deutschland riss er gewaltige Lücken in ganze Geburtenjahrgänge und prägte auch nachträglich noch eine ganze Generation an Kriegswaisen und -witwen. 

Jede Familie betroffen

Heute steht der Erste Weltkrieg oft nur noch im Schatten des Zweiten Weltkrieges, einem Krieg, der noch einmal um ein Vielfaches mehr Opfer forderte. Doch in der Art der Kriegsführung, der Art, wie Menschen und Material in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt wurden, hat auch der Erste Weltkrieg eine ganze Reihe trauriger Alleinstellungsmerkmale.

Die Spirale der Vernichtung erreichte damals derartige Ausmaße, dass selbst die Kriegsführer im Zweiten Weltkrieg davor zurückschreckten, auf die alten Einsatzmuster zurückzugreifen. 
 

Leid in allen Familien

Der Erste Weltkrieg veränderte nicht nur europäische Staaten und Staatssysteme nachhaltig, er hatte auch Einfluss auf jede Familie in allen kriegführenden Staaten. Jede Familie war auf die eine oder andere Weise vom Krieg unmittelbar betroffen – vor allem aufgrund des Militärdienstes von Vätern, Ehemännern, Söhnen und Brüdern.

Rund zwei Millionen Deutsche starben als Soldaten, weit mehr noch kehrten an Leib und/oder Seele verwundet aus dem Krieg zurück.

Frauen im Krieg

Kinder wuchsen ohne Väter heran, Frauen trugen oftmals die alleinige Last, um für ihre Familien aufzukommen. Sicherlich führte der Krieg auch zu einer schrittweisen Neuordnung der Gesellschaft und zu einer Emanzipation der Frau. Doch angesichts des Elends, das der Krieg auch in der Heimat heraufbeschwor, verblassten solche Dinge. 

Frauen arbeiteten in Rüstungsbetrieben und Munitionsfabriken unter gefährlichen und unwürdigsten Bedingungen. Hungerwinter und Krankheitswellen dezimierten die Bevölkerung. Staatliche Organe waren mit der Situation überfordert oder hatten ihren Fokus ganz auf die Unterstützung des Krieges gelegt. Private Initiativen und freiwilliges Engagement waren in diesen Zeiten die wichtigste Triebfeder für soziale Projekte. 

 

Hunger, Armut, Elend

Auch nach dem Krieg änderte sich daran nichts. Vor allem in den Großstädten herrschten Hunger, Armut und Elend. Inmitten dieses allgemeinen Chaos war der Gedanke an Kriegsgräber im Ausland, ja selbst an das Los der deutschen Kriegsgefangenen im Ausland erst einmal zweitrangig. Hinzu kam der Umstand, dass es an Geld und dem nötigen außenpolitischen Einfluss mangelte, um in dieser Angelegenheit verbindliche internationale Regelungen aufzustellen. 

Die neue deutsche Regierung sah ihre wichtigste Aufgabe in der Beseitigung des innerdeutschen Ausnahmezustandes, der nach der Revolution allerorten herrschte, und der Schließung eines endgültigen Friedens mit den Siegermächten. Es lag daher in der Hand privater Initiativen, im Falle der Kriegsgräber und Kriegsgefangenen tätig zu werden. 

Drei Frauen – drei Leben

In Hamburg schlossen sich drei Frauen zusammen und ließen am 23. Juli 1920 einen Verein zur Kriegsgräberfürsorge in das örtliche Vereinsregister eintragen: Thekla Haerlin, Almuth Hartmann und Amanda Fera. Keine war gebürtige Hamburgerin und auf den ersten Blick gab es kaum Parallelen in ihren Lebenswegen bis dahin, 

Thekla Marie Elise Toussaint stammte ursprünglich aus Bremen und wurde in Hamburg später als Ehefrau des Hotelbesitzers Friedrich Haerlin bekannt. Beide bauten das an der Alster gelegene Hotel „Zu den vier Jahreszeiten“ zu einem Luxushotel erster Klasse aus.

Anna Amanda Semmelhack aus Altona heiratete 1881 den wohlhabenden Hamburger Kaufmann Johann Carl Ferdinand Fera. Die aus Pinneberg stammende Almuth Louise Helene Marie Ruhberg heiratete 1890 Ernst Paul Heinrich Hartmann. Der Gastwirtssohn wurde später in Hamburg Polizei- und Justizbeamter. 

Verlust der Söhne

Was diese drei Frauen aber letztlich miteinander verband, war ein furchtbarer persönlicher Verlust. Jede verlor das Kostbarste, was eine Mutter verlieren kann: ihr Kind.

Thekla Haerlins Söhne Otto und Wilhelm starben als einfache Soldaten bereits im ersten Kriegsjahr nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Die jungen Leutnante Ferdinand Fera und Conrad Hartmann starben im Frühjahr 1918 auf qualvolle Weise an den unmittelbaren Folgen eines Gasangriffes in der gleichen Stellung.

Gräberpflege und Angehörigenbetreuung

Es ist nur schwer vorstellbar, was der Tod der Söhne auslöste. Sicher ist jedoch, dass dieser schwere persönliche Verlust diese Frauen nicht zerbrechen ließ, sondern zur Gründung eines Vereins trieb – mit weitreichenden Zielen. Er sollte nicht nur Grabpflege für die gefallenen Hamburger im Ausland organisieren, sondern sich der Kriegsgefangenen in der Fremde und der Hinterbliebenen in der Heimat annehmen. 

Thekla Haerlin, Amanda Fera und Almuth Hartmann besaßen nicht nur Geld und Einfluss in der Hamburger Oberschicht, sondern auch Zugang zur örtlichen Verwaltung. Almuths Hartmanns Mann war zum Zeitpunkt von Conrads Tod bereits Oberregierungsrat und stieg in den folgenden Jahren zum Regierungsdirektor in Hamburg auf. Thekla Haerlin und Amanda Fera verfügten über ein Netzwerk mit einflussreichen und wohlhabenden Geschäftsleuten. 
 

„Jenseits allen Völkerhasses“

Im Juli 1920 wurde der Hamburger Landesverband des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge im Vereinsregister der Stadt registriert. Die drei Frauen waren Initiatorinnen der ersten vorbereitenden Sitzung des Landesverbandes am 1. Juli 1920 in den Räumen des „Wilhelm Gymnasiums” (späterer Altbau der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg). Die Botschaft des neuen Vereins war deutlich: „Gemeinsame Totenehrung jenseits allen Völkerhasses“. 

Vor allem Amanda Fera reiste in den frühen 1920er Jahren immer wieder nach Frankreich, um sich dort ein Bild von der Situation der Kriegsgräber zu machen. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Initiative übernahm der Hamburger Landesverband 1926 die Patenschaft für die Kriegsgräberstätte in St. Quentin. Seit dem Herbst 2023 gehört sie zum UNESCO-Weltkulturerbe.
 

Initiative wirkt noch heute

Aufgrund der Initiative dreier mutiger Frauen ist der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge in Hamburg tätig und blickt – durchaus kritisch – auf eine wechselvolle, mehr als 100 Jahre umfassende Geschichte zurück. Sie begann mit einem klaren Auftrag, an dessen Bedeutung sich bis heute wenig geändert hat. Auch heute noch kümmert sich der Volksbund um deutsche Kriegsgräber im Ausland und betreut Angehörige (mehr dazu: Spendenaufruf zu Bobruisk: Dankbarkeit für individuelle Antworten).

Für das kommende Jahr plant der Landesverband Hamburg eine Fahrt nach St. Quentin, um die alten Netzwerke wieder aufzubauen.   
 

Text: Dr. Christian Lübcke

 

#volksbundhistory

Ob der Beginn einer Schlacht, ein Bombenangriff, ein Schiffsuntergang, ein Friedensschluss – mit dem Format #volksbundhistory möchte der Volksbund die Erinnerung an historische Ereignisse anschaulich vermitteln und dabei fachliche Expertise nutzen. Der Bezug zu Kriegsgräberstätten und zur Volksbund-Arbeit spielt dabei eine wichtige Rolle.

Die Beiträge werden sowohl von Historikern aus den eigenen Reihen als auch von Gastautoren stammen. Neben Jahres- und Gedenktagen sollen auch historische Persönlichkeiten und Kriegsbiographien vorgestellt werden. Darüber hinaus können Briefe, Dokumente oder Gegenstände aus dem Archiv ebenfalls Thema sein – jeweils eingebettet in den historischen Kontext.

Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. ist ein Verein, der seine Arbeit überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert.

zur Startseite