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Etwas soll bleiben

Leben und Wirken des Zeitzeugen Heinz Gesch

Eigentlich könnte man sich zurücklehnen, einfach nur ausruhen, die Zeit verbringen mit versunkener Malerei oder per Funk ein bisschen in die Ferne der Weltmeere schweifen. Doch dafür ist Heinz Gesch nicht der richtige Mann. Dafür hat er zuviel erlebt, zu viel geleistet in den inzwischen 95 Jahren seines Lebens, von denen er fast ein Jahrzehnt in wechselnden Uniformen verbrachte. „Reichsarbeitsdienst, Wehrdienst, Kriegsdienst, Lazarett – der Krieg hat mir meine Jugend geraubt,“ sagt der Diplom-Physiker und Meteorologe heute.

Und dennoch habe er im Gegensatz zu vielen Kameraden großes Glück gehabt. Zweimal wäre er fast gestorben. Fast scheint es wie ein Wunder, dass er heute noch lebt. Deswegen will er, dass etwas bleibt. Deswegen gründete er eine Unterstiftung in der Stiftung Gedenken und Frieden. Damit will er die Arbeit des Volksbundes auch in Zukunft unterstützen. Sein Beitrag soll bestehen bleiben – auch wenn sonst nur noch der Grabstein im Hohenlockstedter Familiengrab an ihn erinnert.

Der Krieg hat in seinem Leben schon früh Einzug gehalten. Der Vater war Sprengmeister, kämpfte im Ersten Weltkrieg. Er selbst wurde am 3. September 1916 in diese kriegerische Welt hineingeboren. Direkt nach dem Abitur folgte 1936 der Reichsarbeitsdienst, 1937 die Einberufung zum Wehrdienst. Als er diesen nach zwei Jahren erfüllt hatte, musste er die Uniform gleich anbehalten: Der Zweite Weltkrieg hatte bereits begonnen und Heinz Gesch war mitten drin. Böhmen und Mähren, Niederlande, Frankreich und dann Russland – so lauten seine Einsatzgebiete.

Als Panzerkommandant an der Ostfront lebt man gefährlich. Der inzwischen erfahrene Leutnant wird mehrere Male verwundet und wieder aufgepäppelt: „Einmal lag ich nach einem Lungenschuss drei Wochen im Koma. Ich war eigentlich ein hoffnungsloser Fall mit geringer Überlebenschance. Aber ich hatte großes Glück.“ Kaum genesen, geht es wieder an die Front: „Fürs Nachdenken blieb da kaum Zeit. Ich wollte nur überleben. Erst später merkte ich, dass mir die vielen Toten, vor allem die getöteten Hitler-Jungen, nicht mehr aus dem Kopf gingen“, sagt Heinz Gesch rückblickend.

Damals hätte wohl niemand gedacht, dass Heinz Gesch noch mindestens weitere 66 Lebensjahre vor sich hatte. Er selbst auch nicht. Viel mehr als sein Leben blieb ihm allerdings nicht. Nach dem Krieg hatte der 29-Jährige außer zahlreichen seelischen und körperlichen Wunden rein gar nichts vorzuweisen. Die letzten Habseeligkeiten, Orden und Stiefel wurden ihm noch im Lazarett vom britischen Wachpersonal geraubt. Auch die Eltern waren ausgebombt, mittellos. Es war die Stunde Null. So erging es damals vielen Menschen. Und so wie viele andere steckte auch der gestandene Schleswig-Holsteiner nicht auf, sondern krempelte die Ärmel hoch. Er wollte studieren. Dafür nahm er auch das karge Leben  in einer zugigen Laube nahe dem Harburger Hafen, die er mit Zeitungspapier notdürftig abdichtete, gerne in Kauf. In den Semesterferien schleppte er endlos zentnerschwere Säcke und wann immer er Zeit fand, nutzte er diese für sein Studium: mit Erfolg. Gesch wurde über die Jahre schnell zu einem gefragten Experten in der neuen Technologie der Halbleiter.

Gesch macht Karriere. Er arbeitet für Siemens, Philipps, später im Dienste der NATO als gefragter Sachverständiger. In dieser Funktion trifft er auch auf Nikita Chruschtschow, der einst durch seinen legendären Schuhklopfer in der UNO-Vollversammlung weltweite Berühmtheit erlangte. „Ich habe damals viele Länder dieser Erde bereist. Es war eine schöne Zeit“, sagt der 95-Jährige heute. Erst gegen Ende seiner beruflichen Laufbahn findet er Zeit, sich ausgiebiger seinem großen Hobby zu widmen. Denn neben der Arbeit am Haus in Quickborn-Heide, das er selbst entwirft und des nächtens mit über 40 000 Steinen zu großräumigen Mosaiken in Form von meteorologischen Karten und mit eigenen Ölgemälden verschönert, hängt sein Herz am Funk. Mit der 20 Meter hohen Antenne im Garten, der Hochfrequenz-Empfangsstation und dem Wetterkartenschreiber im Arbeitszimmer begleitet er die Segler auf den Weltmeeren von Ferne. Er hilft jahrzehntelang mit aktuellen Wetterwarnungen oder gibt wichtige Nachrichten weiter. Als Dank erhält er Postkarten aus aller Welt. Einmal hat er sogar dafür gesorgt, dass ein in Seenot geratener Einhandsegler vor Australien gerettet wird.

In 95 Jahren hat Heinz Gesch viel erlebt und noch mehr geleistet. „Für Frau und Kinder blieb da keine Zeit. Ich war einfach zu viel in der Weltgeschichte unterwegs“, sagt der ewige Junggeselle mit einem Lächeln auf den Lippen. Dennoch möchte er, dass Etwas bleibt. Deswegen gründete er eine Unterstiftung in der Stiftung Gedenken und Frieden, welche die internationale Volksbund-Arbeit fördert. „So möchte ich dazu beitragen, dass die Nachwelt nicht vergisst“, hofft der ehemalige Kriegsteilnehmer, Halbleitermann, Wetterfrosch, Hausbauer, Künstler, Funk-Abenteurer, Seenotretter und Stifter Heinz Gesch.