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Gemeinsam an den Gräbern

10 Jahre Kriegsgräberstätte Budaörs in Ungarn

Semper Communis – der lateinische Leitspruch des Objektschutzregimentes der Luftwaffe aus Schortens bedeutet immer gemeinsam. Zugleich beschreiben diese Worte sehr gut, was sich bei der Gedenkveranstaltung zum zehnjährigen Bestehen der deutsch-ungarischen Kriegsgräberstätte Budaörs ereignet: Es ist ein durch das Zusammenspiel von freiwilligen Helfern der Bundeswehr, hochrangigen Vertretern beider Länder sowie vor allem der Angehörigen der Kriegstoten bewegender Tag. Dieses eindrucksvolle Gedenken erleben und gestalten alle gemeinsam.

Seite an Seite

Schon lange bevor die ersten Stühle und Bänke für die Gäste auf der malerischen Kriegsgräberstätte zurechtgerückt werden, machen sich die zehn Soldaten aus dem Norden Deutschlands ans Werk. Sie haben Einiges vor. Neben den umfangreichen Maler-, Metall- und Wegebauarbeiten wollen sie die Namenszüge von fast 300 Grabsteinen nachzeichnen. Die etwa 350 Gäste, die am 23. Juni erwartet werden, sollen deutlich lesen können, wer hier beerdigt wurde. Insgesamt sind es über 14 000 Kriegsopfer aus Deutschland und Ungarn. Hier finden sich ihre Gräber in direkter Nachbarschaft, Seite an Seite.

Einer der diese Nähe aus seinem persönlichen Lebensweg nachvollziehen kann, ist der Soldat Adam Ambrus. Er ist einer der Freiwilligen und wurde vor 26 Jahren im ungarischen Ort Mosonmagyaróvár geboren, bevor er als Kind mit seiner Familie nach Deutschland übersiedelte. Seit 2008 ist er Zeitsoldat der Bundeswehr. „Hier zu sein, war für mich bewegend, denn im Herzen bin ich Ungarn immer verbunden“, sagt der 26-Jährige. Für seine andauernde sprachliche Hilfe im anfänglich noch fremden Land erhält er von Vorgesetzen und Kameraden großes Lob: „Er hat nicht nur wörtlich übersetzt, was wir gesagt, sondern auch was wir gedacht haben“, meint sein Kamerad Robert Ziemann, der übrigens in Polen geboren wurde. Zufälligerweise bilden diese beiden auch die Ehrenformation während einer Gedenkstunde an den Gräbern ungarischer Kriegstoter in einem kleinen Ort unweit der großen Kriegsgräberstätte.

Fremde als Freunde

Hauptmann Karsten Senne, der den freiwilligen Arbeitseinsatz führt, spricht seinen Leuten für den gesamten Einsatz die größte Anerkennung aus: „Hier hat wirklich ein Rädchen ins andere gegriffen. Alle haben sich hervorragend eingebracht und so gemeinschaftlich zum Gelingen beigetragen. Dabei waren es neben der reinen Arbeit vor allem die zahlreichen zwischenmenschlichen Begegnungen, die in Erinnerung bleiben. Wir kommen sicher wieder!“ Dies liegt auch daran, dass sie während ihrer umfangreichen Tätigkeiten unerwartete Hilfe erhalten. Denn der Ungar Tibor Szebes und zwei seiner Freunde, besuchen zufällig die Kriegsgräberstätte und kommen mit den Deutschen ins Gespräch. Spontan entscheiden sie sich zur Mitarbeit – und ihre Hilfe wird gerne angenommen. Drei Tage lang bleiben sie und sprechen am Ende zusätzlich noch persönliche Einladungen aus. So werden aus Fremden schließlich Freunde. „Dieselbe Gastfreundschaft haben wir auch in der Kaserne des Budapester Wachbataillons erfahren, wo sogar die deutsche Flagge gehisst wurde“, sagt Stabsfeldwebel Dirk Jacob.

Auch heute wehen auf der Kriegsgräberstätte deutsche und ungarische Flaggen nebeneinander. Dies sehen auch die zahlreichen Besucher, unter denen sich auch Nachkommen der Kriegstoten befinden. Einer dieser Angehörigen ist zugleich als politischer Repräsentant Deutschlands hier. Denn dem Großvater des deutschen Staatssekretärs Michael Büge hat der Volksbund hier ein würdiges Grab gegeben. Gemeinsam mit den anderen Angehörigen nutzt er daher noch vor der Veranstaltung die Gelegenheit, vor diesem und anderen Gräbern innezuhalten. Michael Büge hat selbst viel dazu beigetragen, dieses Gedenken zu ermöglichen: Denn die Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (kurz: Deutsche Dienststelle oder WASt) ist seiner Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales unterstellt. Gemeinsam mit dem Volksbund sorgt die Deutsche Dienststelle dafür, dass die Toten ihre Namen zurückerhalten.

Danke für die Friedensarbeit

Dies würdigt auch der ungarische Verteidigungsminister Csaba Hende in seiner Rede, die er teils in deutscher Sprache hält. Unter anderem zitiert er dabei die Lieder, „Maikäfer flieg!“ und „Ich hatt’ einen Kameraden“, welche die Gefühle vieler Angehörigen treffend beschreiben. Zugleich bedankt er sich bei der Deutschen Dienststelle und dem Volksbund: „Die von Ihnen geleistete Arbeit hat uns alle hier im Glauben und in der Hoffnung auf Frieden zusammen gebracht. Ich danke Ihnen für ihre Friedensarbeit!“ Den gleichen Dank äußern auch der deutsche Botschafter Dr. Matei Ion Hoffmann und Brigadegeneral Dieter Dammjacob, die sich nach der Veranstaltung gemeinsam mit Volksbund-Präsident Reinhard Führer noch persönlich bei den Soldaten aus Schortens für ihre Arbeit auf der deutsch-ungarischen Kriegsgräberstätte bedanken. Auch Tamasz Wittinghoff, der Bürgermeister von Budaörs (ehemals: Wudersch), findet lobende Worte: „Ich bin froh, dass sie hier sind – und stolz, dass sich diese Kriegsgräberstätte in meiner Gemeinde befindet.“

Die besondere Verbundenheit von Ungarn und Deutschen zeigt sich nicht nur während der Gedenkveranstaltung, sondern auch in der alltäglichen Zusammenarbeit bei der Gräbersuche vor Ort. Verkürzt gesagt stellen dabei die Deutsche Dienststelle und der Volksbund jene Unterlagen und Informationen zur Verfügung, welche die Umbetter mit Unterstützung der ungarischen Armee und fachkundiger Ortskräfte in die Lage versetzt, die Kriegstoten aus verstreuten und teils unwürdigen Grablagen zu bergen. Anschließend bearbeiten die Volksbund-Mitarbeiter im Gräbernachweis die dabei erstellten Umbettungsprotokolle und senden sie zur amtlichen Bestätigung an die Deutsche Dienststelle in Berlin. So werden – wenn möglich – auch ihre Identitäten wiederhergestellt und die Angehörigen benachrichtigt. Die so gesicherten Namen der Kriegsopfer werden dann wiederum vom Volksbund auf den Grabsteinen, Namenstelen und in Gedenkbüchern verewigt. Diesen Weg von der Grabsuche bis hin zur den Grabsteinen erläutern die Volksbund-Umbetter Wolfgang Dietrich und Eric Goese einigen interessierten Angehörigen übrigens bereits vorab in einem ausführlichen Vortrag: „Wir finden die Gräber überall, verstreut auf freiem Feld, neben den Straßen, in Gärten und sogar unter Spielplätzen. Manche werden wir aber wohl nie mehr bergen können“, sagen sie ganz offen. Später nutzen viele Angehörige die Möglichkeit, die Fachleute nach den Details ihrer ebenso schwierigen wie umfangreichen Arbeit zu befragen. Zudem steht auch der Gräbernachweis-Experte Robert Zaka am Folgetag den Angehörigen während der Veranstaltung in Budaörs hilfreich zur Seite. Er zeigt die genauen Grabstellen an und erklärt auch fachkundig alle Zusammenhänge und Vorarbeiten.

Tränen nach 70 Jahren

Während der Gedenkveranstaltung in Budaörs wird die humanitäre Bedeutung dieser umfangreichen Bemühungen spürbar. Überall auf der idyllisch gestalteten und weitläufigen Kriegsgräberstätte samt gestiftetem Friedenspark sieht man die Menschen innehalten. Sie stehen vor den Gräbern, machen Fotos, tauschen sich aus oder beten. Auch manche Träne fließt noch nach nunmehr 70 Jahren. Michael Büge hat sich ebenfalls intensiv mit dem Schicksal seines Großvaters auseinandergesetzt. Zuhause hat er sogar die Erkennungsmarke, Fotos und Feldpostbriefe von Wilhelm Büge. Gemeinsam mit seiner Ehefrau Melanie legt auch er einen Blumenstrauß nieder. „Das ist für mich ein besonders bewegender Moment. Ich bin sehr glücklich darüber, dass dies alles möglich geworden ist“, sagt er.

Ähnlich geht es auch einem anderen Beteiligten der Veranstaltung, dessen Großonkel Kurt Herrmann hierher umgebettet wurde. Überraschender Weise diente dieser als gebürtiger deutscher Oberschlesier bis zu seiner Gefangennahme durch die Rote Arme zwangsweise zunächst als polnischer Soldat. Nach seiner Entlassung trug er dann die deutsche Uniform, in der er am 19. November 1944 auch fiel. Tragischerweise hatte seine Mutter an ihrem Geburtstag von diesem Unglück geträumt. Sein Bruder Paul hatte von einem seiner Enkel erst am Sterbebett von der neuen Grablage erfahren und keine Möglichkeit mehr gehabt, von seinem Lieblingsbruder Abschied zu nehmen. Dies holt nun sein Enkel Arne Schrader mit einem Blumengruß der Familie und einem stillen Gebet nach. Er ist zugleich Organisator und Moderator der gemeinsamen Gedenkveranstaltung in Budaörs und zutiefst dankbar für die Gastfreundschaft, die er hier erlebt.

Busreisen zu den Gräbern

Einige deutsche Gäste haben zuvor mit ihren Bussen aus Bayern und des Reiseunternehmens Enzian mit Reiseleiter Uwe Klauk auch an anderen deutschen Kriegsgräberstätten Halt gemacht. „Diese Reisen sind für die Angehörigen sehr wichtig. Einige kommen auf diese Weise zum ersten Mal an die Gräber, andere sind bereits Stammgäste“, sagt Kaspar Becher. Er ist der Volksbund-Bezirksgeschäftsführer aus der Oberpfalz. Zuvor hatte er mit seiner Gruppe bereits die Kriegsgräberstätten in Böhönye und Székesfehérvár (ehemals: Stuhlweißenburg) besucht. In Böhönye übergab Rupert Faltermeier aus Steinsberg, der mit seiner Reservistengruppe vergangenes Jahr die Wege auf der Kriegsgräberstätte komplett renoviert hatte, eine Erinnerungsplakette an den ortsansässigen Georg Schwarz. Der hatte sich während des Arbeitseinsatzes liebevoll um die oberpfälzischen Reservisten gekümmert.

Ähnliches leistet heute auch Kaspar Becher für seine Reisegruppe. Wie so oft fungiert er nicht nur als Reiseleiter sondern vor allem als zuvorkommender und herzlicher Betreuer. Dies kann nicht nur Familie Wechselberger bestätigen. Willibald, seine Ehefrau Magdalene, sowie die Schwestern Maria, Elfriede und Therese sind schon seit 1999 regelmäßig am Grab ihres Vaters Johann. Deswegen haben sie auf der schönen Anlage von Budaörs sogar einen Friedensbaum gespendet. Die 35-jährige Birgit Bender ist dagegen erstmals hier. Als sie am Grab ihres Großonkels steht, den sie über die Online-Gräbersuche auf www.volksbund.de ausfindig gemacht hat, muss sie plötzlich weinen. Dabei hat sie Johann Binder niemals kennengelernt und auch kaum etwas über ihn erfahren. „Ich weiß auch nicht, warum die Tränen kamen. Aber es war so ein überwältigendes Gefühl – und ich finde es einfach super, dass es diesen Ort überhaupt gibt und ich hier sein kann“, sagt sie noch, bevor sie Blumen und etwas Heimaterde am Grabstein platziert. Neben der 91-jährigen Marie-Louise Hellion aus dem französischem Briancon, die hier das Grab ihres ersten Ehemannes Walter Grünewald besucht, ist Leopold Kanus der älteste Teilnehmer. Der ehemalige Oberstleutnant der Reserve und Bataillonskommandeur der Bundeswehr ist 87 und kommt in Gedenken an seinen in Ungarn gefallenen Bruder Emil nach Budaörs. Noch gut erinnert er sich an die letzte Begegnung und auch daran, dass der Bruder nur sehr ungern und mit trauriger Stimmung in den Krieg zog. Vor allem die Trennung von der Familie habe ihn sehr belastet. Auch er selbst habe diese Erfahrung gemacht, da er in jener Zeit, als sein Bruder aus dem Leben schied, selbst auf einer Militärschule zur Vorbereitung auf den Kriegseinsatz war.

Am Ende stehen sie alle – Jung und Alt, Deutsche und Ungarn, Soldaten, Politiker und Angehörige – vor dem Hochkreuz zum Gebet in ihrer Sprache. Es ist ein langersehntes und mitfühlendes Gedenken aus vielen Perspektiven. Und nun stehen sie alle gemeinsam hier an den Gräbern.

Maurice Bonkat

 

Hinweis: Das ausführliche Programm dieser Veranstaltung finden Sie hier.