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Kleine Kreuzfahrt für großen Bruder

Besuch am Kriegsgrab in Hull

Das Wetter ist gut am 13. Juli 1943. Ein unerwartetes Zwischenhoch taucht die britische Küste in ein freundliches Licht. Der Luftlagebericht für diesen Tag verzeichnet daher etliche Stör- und Zerstörangriffe. Gutes Wetter auch für Nachtangriffe der deutschen Do 217, die von Eindhoven und Soesterberg aus starten, um die Hafenanlagen in Hull zu bombardieren. Der Einsatz erfüllt die Erwartungen. Die Queen-Viktoria-Docks stehen noch in der Nacht zum 14. Juli weithin sichtbar in Flammen. Einer der 52 deutschen Bomber wird in der Luft gerammt, schafft aber dennoch stark beschädigt den Rückflug. Der Bordfunker wird dabei aus seiner Kuppel geschleudert. Wenn er großes Glück hat, spürt er nicht mehr, wie sein Körper tausende Meter in die Tiefe stürzt.

Auch Heinz Pankuweit blickt in die Tiefe. Da sieht es schwarz aus, gemischt mit leichten Rottönen. Es ist die Nordsee, die er von seinem Bullauge aus im Mondlicht bewundert. Es fällt schwer, in dieser Nacht den Schlaf zu finden. Für den 85-Jährigen ist es eine besondere Reise – wie so oft. Seit 1960 reist er regelmäßig in das schöne nordenglische Städtchen Hull, um dort das Grab seines älteren Bruders Hugo auf dem Nothern Cemetery zu besuchen. Er war der besagte Bordfunker der Do 217, aus der er über Cherry Cob Sands in den Abgrund stürzte. Dies sind die Gründe – und das Ziel seiner Reise.

Als er vor über einem halben Jahrhundert das erste Mal mit seiner inzwischen verstorbenen Mutter und einer kleinen Volksbund-Reisegruppe hierher kam, war er überrascht, wie aufgeschlossen und mitfühlend die Briten zu ihnen waren. „Immerhin war der Krieg zu diesem Zeitpunkt in vielen Köpfen noch präsent. Und ich selbst war ja auch Soldat, kämpfte damals als 18-Jähriger in Südfrankreich, später noch in den Ardennen,“ sagt Heinz Pankuweit, während er mit einer Hand seinen Spazierstock und mit der anderen die Reling umklammert.

Der Gedanke der Versöhnung und seine konkrete Ausübung im menschlichen Miteinander liegen ihm sehr am Herzen. Das hat er schon anlässlich der Volksbund-Gedenkfeier im belgischen Regogne-Bastogne zum Ausdruck gebracht, wo viele seiner ehemaligen Kameraden beerdigt sind. Heinz Pankuweit ist einer der wenigen Überlebenden, ein Zeitzeuge, der über den Krieg und seine Folgen beredt Auskunft geben kann. Er hat sie gesehen, die leblosen Arme und Beine in den Gräben am Straßenrand, in zerschossenen Fahrzeugen und Unterständen, die blutigen und kaum identifizierbaren Köpfe, schon halb vom Ardennen-Schnee bedeckt. Fast alle seiner Weggefährten leben heute nur noch in seiner Erinnerung fort.

Ein neuer Freund

So ist es auch mit einem der ersten Menschen, denen Pankuweit 1960 im ehemaligen Feindesland begegnete. Der Mann hieß Les Barnett und besaß eines dieser schmucken britischen Taxis, die man aus den frühen Edgar-Wallace-Filmen kennt. Damit wollte Heinz die damalige Absturzstelle und das heutige Grab seines Bruders besuchen. Davon weiß Les zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nichts. Erst als er hört, dass die Fahrt nach Cherry Cob Sands gehen soll, hakt er nach: „Was wollen Sie denn da? Das wird einiges kosten und dann ist da auch gar nichts los!“ So erfährt er schließlich von der Geschichte des gefallenen Bruders. Das ändert alles. Denn Barnett ist ein Mann, der gerne anderen Menschen hilft – auch Fremden. Seine Ehefrau und der Rest der großen Familie sehen das manchmal  mit gemischten Gefühlen. Doch so ist er nunmal. Für den netten Deutschen, der sich redlich in der fremden Sprache bemüht, und dessen traurige Geschichte man leicht an seinen Augen ablesen kann, gibt er einen Spezialpreis aus: Ein Pfund soll er für die Fahrt bezahlen, die sonst ein Vielfaches gekostet hätte. Pankuweit lächelt. Soeben ist eine neue Freundschaft entstanden.

Inzwischen ist viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen, an dessen weiten Ufern Pankuweit als Bad Godesberger heimisch ist. An der genauen Abfolge seiner Besuche in Hull hat sich jedoch wenig geändert. „Der gute Les ist inzwischen aber nicht mehr unter uns. An seine Stelle treten heute die Kinder und Enkelkinder. Ich bezeichne sie gern als meine englische Familie, gegründet nicht von mir, sondern von meinem alten Freund Les,“ sagt Pankuweit heute mit seiner ihm eigenen Mischung aus Stolz und Wehmut. Les war es auch, der ihm damals geholfen hatte, einen schönen Blumenschmuck für das Grab zu erstehen. Auch heute hat der ehemalige Kriegsteilnehmer wieder zwei Gebinde dabei: eines für seinen großen Bruder und eines in den Landesfarben für den Gedenkstein der britischen Bombenopfer.

Der freundliche Deutsche

Irgendwann spricht sich der Besuch des freundlichen Deutschen soweit herum, dass die örtliche Presse aufmerksam wird. Später wird ihn die Daily Mail als Bombers Brother bezeichnen und seine beeindruckende Geschichte weithin unter die Leute streuen. „Hier sind die Menschen alle so freundlich und hilfsbereit,“ sagt Pankuweit. Und auch auf dem Nothern Cemetery ist an ihn, beziehungsweise seinen Bruder gedacht worden. Das sieht man deutlich. Überall gerade Rasenkanten, geputzte Gedenksteine und sogar eine neue Hecke als Einfriedung des Friedhofteiles für die Opfer der Weltkriege ziert die Anlage. Heinz Pankuweit sieht das sofort. Er ist dankbar.

Das bringt er in seiner kleinen Rede an Hugos Grab gerne auch zweisprachig zum Ausdruck. Gut dass er das damals in der Schule gelernt hat. Hugo hatte ihn immer angespornt, fleißig und aufmerksam zu sein. „Er war ein Bruder, wie man ihn sich nur wünschen kann – einfach ein guter Mensch,“ sagt Heinz Pankuweit. Neben dem Reporter von der Daily Mail, der alles fleißig in seinen Notizblock schreibt und viele Bilder macht, hören das nur wenige Zaungäste. Aber das spielt keine Rolle. Später verharrt der Reporter noch ein paar Augenblicke allein am Grab dieses deutschen Soldaten, schaut auf seine Lebensdaten und bemerkt, dass sie beide am selben Tag Geburtstag haben.

Für Heinz Pankuweit hat sich die kleine Kreuzfahrt für den großen Bruder gelohnt.  Auf der Rückreise über die Nordsee ist der Himmel noch immer sehr klar, das Meer nur leicht bewegt. In Heinz Pankuweit herrscht diese Ruhe, ein friedliches und wahrhaft schönes Gefühl. Und nicht nur jetzt hätte er gerne den Bruder an seiner Seite.

 

Maurice Bonkat

 

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