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Restaurierung von stummen Zeugen der Gewalt

Zerstörte jüdische Grabstelen in Moulin-sous-Touvent stehen wieder

In Frankreich hat der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. durch Vandalismus zerstörte jüdische Grabstelen auf der Kriegsgräberstätte Moulin-sous-Touvent erneuert. Bei einer Gedenkveranstaltung in der Gemeinde nordöstlich von Paris forderten Deutsche und Franzosen zum Widerstand gegen antisemitischen Hass auf. 
 

Graue Wolken hingen tief über der kleinen nordfranzösischen Gemeinde. Der 10. Oktober, der Tag der Gedenkveranstaltung, begann mit einer stillen Kranzniederlegung am Kriegerdenkmal. Anne Brocvielle, die Bürgermeisterin der 192-Einwohner-Gemeinde, hatte dazu eingeladen.

In dem kleinen Ort, in dem ungewohnte Betriebsamkeit herrschte, waren Gendarmerie, Polizei und Sicherheitskräfte unterwegs. Die strengen Auflagen waren angesichts der politischen und geistlichen Prominenz angeordnet worden. 
 

Stelen zwischen den Kreuzen

In Moulin-sous-Touvent pflegt der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge einen Soldatenfriedhof, auf dem 1.903 Gefallene des Ersten Weltkrieges bestattet sind. Zwischen den schwarzen Kreuzen stehen zehn schwarze Grabstelen mit weißer Inschrift, unter denen die Deutschen jüdischen Glaubens ruhen.
 

Neun Stelen zerstört, eine beschädigt

Anlass für die Gedenkveranstaltung war die Wiederherstellung von zehn Grabstelen für gefallene Soldaten mosaischen Glaubens, die antisemitischem Vandalismus im November des vergangenen Jahres zum Opfer gefallen waren. Neun Stelen waren zerstört worden und mussten neu angefertigt werden, eine Stele konnte gerettet und repariert werden.

Reservisten aus Osnabrück hatten die Stelen wieder aufgestellt. Die Gemeinde Moulin-sous-Touvent, die französische Partnerorganisation Souvenir Français und die Deutsche Botschaft in Paris unterstützten den Volksbund dabei finanziell.
 

Mehr als 100 Gäste

Um elf Uhr versammelten sich mehr als 100 Gäste auf der Kriegsgräberstätte. Wegen des strömenden Regens drängten sie sich im überdachten Eingangsbereich des Friedhofs und in kleinen Pavillons. Johanna Klier, beim Volksbund zuständig für Kooperationen, und Carole Novy, Büroleiterin in Metz, moderierten die Veranstaltung auf Deutsch und Französisch.

Sie begrüßten die Gäste, darunter Vertreter des Souvenir Français, des Bundes jüdischer Soldaten, der American Battle Monuments Commission, der Commonwealth War Graves Commission, der französischen Regionen, Gemeinden und Präfekturen sowie den Chefhistoriker der „Operation Benjamin”, Shalom Lamm, und Alon Schuster, Mitglied des israelischen Parlaments (Knesset). Soldaten des Logistikbataillons aus Kümmersbruck in der Oberpfalz waren nach einem Pflegeeinsatz in Metz ebenfalls angereist, um dabei zu sein.

Ein Akt des Muts und des Gedenkens

Bürgermeisterin Anne Brocvielle fand deutliche Worte für die Schändung: „Diese Stelen sind keine einfachen Steindenkmäler. Sie sind stumme Zeugen und als solche Hüter von Leben, die durch die Gewalt des Krieges und des Hasses niedergestreckt wurden. Durch das Zertrümmern dieser Stelen wurde eine Seite unserer gemeinsamen Geschichte zerschlagen, die Verbindung zu unserer Vergangenheit geschwächt und das Andenken unserer Soldaten verunstaltet und zerstört.“

Die Bürgermeisterin betonte weiter, dass diese Stelen nicht nur aus Pflichtgefühl, sondern in erster Linie mit tiefer Hochachtung wieder aufgestellt worden seien. „Schließlich ist jede wiederaufgestellte Stele ein Akt des Widerstands, ein Akt des Mutes, ein Akt des Gedenkens”.
 

Für eine Welt ohne Antisemitismus

Serge Barcellini, der Präsident des Souvenir Français, bekräftigte sein Anliegen, gemeinsam mit dem Volksbund eine Welt zu schaffen, in der Antisemitismus keinen Platz hat.

Gudrun Lingner, Geschäftsträgerin der Deutschen Botschaft in Frankreich, rügte die „feige Tat“ und forderte verstärkte Aufmerksamkeit im Kampf gegen Antisemitismus, besonders „vor dem Hintergrund der Wahlerfolge von Parteien in Deutschland und Frankreich am äußeren politischen Spektrum, die offen oder verdeckt antisemitisch sind.“

Die kanadische Mezzosopranistin Patrica Hammond und der britische Gitarrist Matt Redman sorgten für die musikalische Begleitung mit einem jiddischen Soldatenlied: „Of di felder, grine felder“. Viele Gäste waren offenbar emotional gerührt.

„Ich zog als Deutscher in die Schlacht…“

„Was haben deutsche jüdische Soldaten des Ersten Weltkrieges mit den aktuellen Ereignissen im Nahen Osten zu tun?“ Das fragte Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen zu Beginn seiner Gedenkrede. Die Antwort: „Eigentlich nichts.“ Und doch gebe es eine Linie von den jüdischen Soldaten im deutschen Kaiserreich bis hin zu den jüdischen Gemeinden im Ausland, bis zum Staate Israel. „Ihre Grabsteine wurden nämlich ausschließlich zerstört, weil sie Juden waren.“
 

Hoffnung auf Anerkennung 

Dirk Backen beschrieb die Tragödie der jüdischen Soldaten, die für ihr deutsches Vaterland in den Krieg gezogen waren – auch in der Hoffnung, dadurch endlich Anerkennung in ihrem Vaterland zu finden. Er zitierte den jüdischen Leutnant Josef Zürndörfer, der als Pilot 1915 im Luftkampf fiel: „Ich zog als Deutscher in die Schlacht, um mein Vaterland zu beschützen, aber auch als Jude, um für die volle Emanzipation meiner jüdischen Brüder zu kämpfen.“ 

Der Generalsekretär beendete seine Rede mit der Aufforderung: „Tun wir unsere Pflicht – mehr können wir nicht tun – und wünschen wir uns niemals, weniger tun zu müssen.“

Die tragische Nähe zur Gewalt in Gaza

Aus Israel war Alon Schuster angereist, Großneffe des Soldaten Emanuel Schuster, dessen Gedenkstele ebenfalls zerstört und wieder aufgestellt worden war.  Er berichtete vom Schicksal seiner Familie, das exemplarisch für das vieler jüdischer Familien stehe.

Zwei seiner Großonkel fielen im Ersten Weltkrieg. Der Großvater floh mit der Familie nach Argentinien, sein Vater wanderte von dort nach Israel aus und gründete einen Kibbuz – der heute in unmittelbarer Nähe des Gazastreifens liegt. 
 

Die Folgen des Massakers

Schuster betonte: „Wir sind Kibbuz-Mitglieder, die an die Werte Gleichheit und Gerechtigkeit glauben und diese Werte in eine blühende, gemeinschaftliche Lebensweise integrieren.“  Er erzählte von den Folgen des Massakers der Terrororganisation Hamas am 7. Oktober 2023 für sein Land, von den Beerdigungen der vielen Opfer in seinem Freundeskreis.

Dennoch sprach der Gast aus Israel von Hoffnung: „Nachdem ich eine ganze Weile im Nahen Osten gelebt habe, in einer gewalttätigen Umgebung, die sich nur schwer von Krieg lösen kann, schaue ich mit Bewunderung auf die solide Partnerschaft von Deutschland und Frankreich.”

„Schwerter zu Pflugscharen machen“

Natürlich seien hier die Umstände anders, sagte Alon Schuster. „Die Fähigkeit, nach Hunderten von Jahren der gegenseitigen Bedrohung seit drei Generationen friedliches, gegenseitiges Einvernehmen zu erleben, ist für mich – für uns – ein Beispiel dafür, dass wir nie die Hoffnung aufgeben dürfen.”

Schuster lobte die Verantwortlichen in Deutschland und Frankreich dafür, dass sie das berühmte Wort aus Jesaja, Kapitel 2, Vers 4 mit Leben füllten: „… und er wird richten unter den Nationen und zurechtweisen viele Völker. Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Denn es wird kein Volk mehr gegen das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ 

Viele Gesten der Gemeinsamkeit

Patrica Hammond sang „Zwei hebräische Melodien“ von Maurice Ravel. Haïm Korsia, Oberrabbiner von Frankreich, und Militärbundesrabbiner Zsolt Balla beteten gemeinsam und entzündeten die Gedenkflamme.

Nach dem Niederlegen der Kränze wurden das Totengedenken auf Deutsch und Französisch verlesen. Es folgten die Totensignale: „Sonnerie aux morts“ und das Lied „Der gute Kamerad“.  Der Chor des Couloisy-Collège sang die deutsche und die französische Nationalhymne.
 

Ehrenplakette für Gemeinde

Beim anschließenden Empfang überreichte Volksbund-Generalsekretär Dirk Backen der Gemeinde Moulin-sous-Touvent die Ehrenplakette des Volksbundes in Gold für ihr außergewöhnliches Engagement.

Der Volksbund ist ...

... ein gemeinnütziger Verein, der im Auftrag der Bundesregierung Kriegstote im Ausland sucht, birgt und würdig bestattet. Fast 12.000 waren es im vergangenen Jahr. Der Volksbund pflegt ihre Gräber in 46 Ländern und betreut Angehörige. Mit seinen Jugend- und Bildungsangeboten erreicht er jährlich rund 38.000 junge Menschen.

Die Gräbersuche Online umfasst inzwischen rund 5,4 Millionen Datensätze. Wer noch einen Angehörigen vermisst, kann dort recherchieren und gegebenenfalls einen Suchantrag stellen. Der Volksbund ist dringend auf Spenden und Mitgliedsbeiträge angewiesen.
 

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